La courette, der Innenhof


Das berühmt-berüchtigte und von den Architectes de France überbehütete Haus in der Grasser Altstadt bekommt also sein letztendlich bewohnbares zusätzliches Stockwerk. Und genau dieses Stockwerk ist es, das uns das Haus zu einem finanziellen Mehrwert verkaufen lässt. Dass uns dieses Gebäude während Jahrzenhnten Kopfzerbrechen, hitzige Köpfe und heisse Diskussionen mit Handwerkern bereitete, kann jedoch nicht in Bares umgemünzt werden, doch war dies vielleicht der Hauptgrund, weshalb wir eine ebenfalls wertsteigernde Klimaanlage ins Haus einbauen liessen, um immer cool bleiben zu können oder im Winter nicht zu frieren.

Dass ausgerechnet ein Archäologen-Paar unser Haus kauft, hat aber vielleicht auch noch andere Gründe, die wollen Ausgrabungen machen und sind daher am untersten Stockwerk interessiert. Die neue Besitzerin des im gleichen Haus liegenden Ladens mit grossem Keller, in dem früher die Mäuse und Kakerlaken in Form der Mehlsäcke des Bäckers ihre Nahrung fanden, kann von diesen Katakomben ein Lied singen, dessen spannender Haupttext von einem Fass ohne Boden, Feuchtigkeit und morschen Balken handeln würde. Als Dozentin einer Parfumeurschule und Kunstmalerin findet sie in ihrem Keller wenigstens genügend modernde Motive, die olfaktorischen Reize zu verbessern und das Ganze auf Leinwand darzustellen.

Doch was hat dies alles mit dem kleinen Innenhof zu tun, der zu unserem Haus gehört oder eben nicht gehört? Zum Glück hat ein Innenhof vier Seiten, was nichts Anderes heisst, als dass sich mindestens vier verschiedene Besitzer diesen Innenhof teilen. Weit gefehlt, wenn Sie jetzt aber denken, dass sich hier ein idyllisches Höfchen mit Tischlein und Liegestuhl befindet. Stattdessen existierte schon immer ein vor Dreck und Schlamm strotzender Boden, der bei Gewittern das Wasser in die vier umliegenden Wände sickern lässt. Das kostet uns auf den ersten Blick also nur ein fieses Lächeln, da sich unsere Wohnungen im ersten, zweiten und dritten Stock befinden.

So geschehen vor zehn Jahren, als die schriftliche Aufforderung der Stadt Grasse ins Haus flattert, dass wir als alleinig Verantwortliche den Hauptteil der Sanierungskosten des Innenhofs zu tragen hätten, da unsere Hauswand auf dem Katasterplan mit einem Pfeil eingezeichnet sei. Nach langem Suchen finden auch wir diesen Plan in unseren Unterlagen und stellen zu unserem grossen Erstaunen fest, dass die Grenze des Nachbarhauses nicht eingezeichnet ist. Der besitzergreifende Pfeil zeigt also auf das Nachbarhaus, wodurch uns statt der Verantwortung für die Gesamtrechnung Décharge erteilt wird. Man kann es bei den Petit-Suisses ja mal versuchen! Freiwillig übernehmen wir dann einen Viertel der Rechnung, da es ja auch in unserem Interesse ist, dass das Regenwasser nicht irgendwo in den Untergrund unseres Hauses versickert, sondern in die Kanalisation (das gibt es tatsächlich!) abgeleitet wird.

Der Kleiderladen im Haus nebenan gehört zum Glück der Stadt selber, so dass fortan eigentlich zum Innenhof geschaut werden sollte. Es kommt jedoch ganz anders, in dem sich die Feuchtigkeitsereignisse in den umgebenden Häusern, aber auch bei uns, überstürzen. Das erste Debakel ereignet sich nach monatelangen Warnungen unsererseits, dass eine Wand bei uns immer feuchter werde, da beim Vietnamesen nebenan eine Leitung undicht sei, was immer verneint wird, bis bei ihm dann die Decke einstürzt, und sein Restaurant ein halbes Jahr geschlossen bleibt, um im wahrsten Sinne des Wortes restauriert zu werden. Wir sind also tatsächlich wieder beim gesunden Klima von Grasse, das trotz bekannter Trockenheit alle rheumatischen Krankheiten, der Feuchtigkeit sei Dank, aufblühen lässt. Doch Paracelsus propagierte seinerzeit auch Rheumabehandlungen in der feuchten Taminaschlucht des Bad Pfäfers. Fortan begreifen alle, dass in unserem untersten Teil des Treppenhauses eine Sprayflasche mit Parfum hängt mit der Aufschrift «drücken, wenn es Dir oder im Treppenhaus stinkt».

Bei unserem nächsten Aufenthalt in Grasse bekommen wir überraschenden Besuch von der Besitzerin des Kleiderladens nebenan, dass ihre Kleider immer mehr Schwimmanzügen glichen, da Feuchtigkeit durch die Wand eindringe, was uns ja keineswegs mehr erstaunen lässt. Der höfliche Ton wird aggressiver, als sie bei uns an der Wand über ihrem Laden Feuchtigkeitsflecken entdeckt, «was ganz klar von einer Röhre in unserer Wand stamme». Doch kennen wir zum Glück unsere Wasserleitungen mit dem Wissen, dass in dieser Wand keine unserer Leitungen durchgeht. Wir bitten sie daher, dringend die Leitungen in ihrem Haus zu kontrollieren, da wir sicher sind, dass bei ihnen eine Undichtigkeit vorhanden sei. «Mit Sicherheit nicht, das sei alles kontrolliert worden». Ein halbes Jahr später dürfen wir aber konstatieren, dass die betreffende Wand des Nachbar-Hauses auf 3 Stockwerken saniert wurde, da in einem Bad im dritten Stock das Leitungsloch resp. die «fuite d’eau», was viel eleganter tönt, gefunden wurde. Unsere Wand sollte jetzt kurz vor dem Hausverkauf auf Kosten der Versicherung neu verputzt werden, schon wieder eine Wertsteigerung? Doch leider ist diese Wand bei unserer Ankunft unverändert, so dass ich sogleich bei der Versicherung nach dem Grund nachfrage. Die Wand sei noch zu feucht, und überhaupt entbinde sie der Besitzerwechsel von jeglicher Renovationsverpflichtung.

Gleichzeitig ersetzen wir auch in unserem Haus noch die poröse Hauptabwasser-Röhre, damit der Keller der ehemaligen Boulangerie womöglich sogar für Lagerung von Bildern geeignet sein könnte. Ein Blick in die Courette sagt mir aber, dass wir hier einen schweren Rückfall von Wasserinfiltration in die Wand haben, da der ganze Hof voller Gerümpel und Schmutz, und der Abfluss verstopft ist. Es seien tatsächlich Arbeiten im Hinterhof gemacht worden, in Zusammenhang mit einem neuen Durchgang, für die wir als erneute Responsables de la courette (für den Innenhof Verantwortliche) sogar noch entschädigt worden wären. Mein erneutes Insistieren auf einen fehlerfreien Katasterplan liess jedoch die gebende Hand der Stadt sofort verschliessen. «Der Innenhof sei jetzt völlig aufgeräumt und gereinigt worden». Wir erlaubten uns, von diesem Chaos ein Bild zu schiessen  und an die Verantwortliche der Stadt zu schicken, mit der Bemerkung, dass wir unter aufräumen etwas anderes verstehen, und dass ich selber ein letztes Mal diesen Hinterhof von allem Müll und Dreck befreien werde. Zwei Tage später steige ich tatsächlich durch das Fenster des Kleiderladens in den Hinterhof, dies ist der einzige Zugang, und stelle überrascht fest, dass aufgeräumt wurde. Der Abfluss ist jedoch noch völlig verschlossen und wird von mir wieder durchgängig gemacht. Das einzige Mal in den vergangenen dreissig Jahren, dass sowohl Wände als auch Abflussrohre und der Innenhof vollständig saniert sind, doch dies wird übermorgen schon wieder anders sein, die Archäologen können sich freuen!