Der Jet d’eau


Der Jet d’eau ist der berühmte Springbrunnen im Genfersee, eines der Wahrzeichen der Stadt Genf, mit der bis zu 140 m hohen Wasserfontäne. Falls Sie sich an die Definition unseres Architekten und Opportunisten aus der Schleimer-Geschichte erinnern, enstehen aus harmlosen Parasiten gefährliche Krankheitserreger, oder aus einem Tropfen an der Decke wird ein Wasserfall. So entsteht ein neues Wahrzeichen der Stadt Grasse respektive auf unserem Haus, dank seriösester Planung vom Schleimer.

Zum Glück regnet es im Sommer kaum in Grasse, doch wenn es regnet, dann gleich richtig. Diese Klimastation hatte seinerzeit schon Princess Pauline, die Lieblingsschwester Napoleons, entdeckt. Sie starb jedoch schon mit vierundvierzig Jahren nicht etwa an Rheuma sondern an Krebs. Das feuchte Klima der undichten Dächer war wahrscheinlich schon Ende des achtzehnten Jahrhunderts der Gesundheit kaum zuträglich. Dass aber die Architekten und Baumeister des 21. Jahrhunderts die Dächer so konstruieren, als ob der Jet d’eau und die Versailler Wasserspiele einen gemeinsamen Auftritt geniessen, ist sogar für uns regengewohnte Mitteleuropäer doch eher erstaunlich. Während aber der Sonnenkönig Louis XIV seine Brünnlein geniessen konnte, wurden wir Schweizer in Grasse zunehmend zu Regenkönigen.

Der Zufall will es, dass wir ausgerechnet an diesem Gewittertag in unserem neu renovierten Haus in der gemütlichen Stube im zweiten Stock Pläne für den nächsten Sonnentag schmieden, als es in den ohnehin schon dunklen Gassen noch dunkler und unheimlicher wird, und dieses Szenario durch helle, gleissende Blitze unterbrochen wird. Zusammen mit den unmittelbar folgenden Donnerschlägen lässt dies an Meteoriteneinschläge denken, oder dann an die vom Satelliten Discovery beobachteten gleissenden Blitzphänomene, die dem an Eiskristallen reflektierten Sonnenlicht zugesprochen werden. Wir erleben gerade in unserer Stube den Weltuntergang und realisieren kaum, dass zwischen den Donnerschlägen ein leises Plätschern eines Bächleins zu hören ist, wie wir es erst kürzlich im neu renovierten Haus gehört haben, als sich der nicht angeschlossene Überlauf der durch die Handwerker neu installierten Badewanne in die darunterliegende Küche ergossen hat.

Da es sich nun aber wirklich um keinen Tinnitus handelt, der Überlaufschlauch der Badewanne mittlerweile an die Leitung angeschlossen ist, und wir auch nicht gerade Smetanas Musikstück mit der immer grösser werdenden Moldau am Hören sind, wird das leise Plätschern zu einem unüberhörbar lauten Bachrauschen, das uns in den dritten Stock rasen lässt. Wir realisieren schon auf der Treppe, dass sich das Wasser wie aus vielen Kübeln miteinander aus drei Metern Höhe auf die Treppenstufen stürzt und von dort wie beim Jet d’eau wieder in die Höhe spritzt. Dank der vielen Eimer, die vom Umbau und der nachfolgenden Reinigung noch vorhanden sind, aber auch Dank des sich verziehenden Gewitters, kann der Schaden noch einigermassen in Grenzen gehalten werden.

Für viele der an solchen Unbill gewohnten Altstadtbewohner sind derartige Ereignisse normal, so dass dann die Hauswände nicht nur von aussen, sondern auch von innen zunehmend feucht und schwarz werden, bis die Häuser dann nach Jahrzehnten unbewohnbar werden und in sich zusammenstürzen, und die Stadt sie dann entweder wieder aufbaut oder noch ganz abreisst, da sich die Eigentümergemeinschaften, Copropriétés genannt, nicht einigen können, kein Geld haben oder einfach nur noch auf dem Papier existieren.

Weil es wie in der Medizin vor der Therapie eine genaue Diagnose braucht, klettere ich auf das mittlerweile abgetrocknete, aber immer noch nicht ganz ungefährliche Dach und darf beruhigt feststellen, dass kein einziger Ziegel der obersten Schicht, also derjenigen mit der Rundung nach oben, defekt ist. Mit der Kenntnis des sogenannten Dachziegelverbands bei gebrochenen Zehen, weiss ich, dass noch eine darunterliegende Ziegelschicht, mit der Rundung nach unten, vorhanden ist. Und siehe da, Dutzende von Ziegeln der unteren Schicht sind längs gespalten, da sich wohl der Baumeister mit dem zu vielen Geld zu gut ernährt hat, und seine Adipositas die Ziegel unter seinen Füssen bersten liess. Diese Erklärung ist aber irgendwie ungenügend für den Jet d’eau im Treppenhaus, weshalb die Diagnostik trotz vorhandener isolierender Decke zwischen dem Dach und den Ziegeln erweitert wird. Medizinisch macht es ja immer Freude, eine richtige Diagnose zu stellen, insbesondere wenn anschliessend eine erfolgreiche Therapie angewendet wird.

Was aber die vollständige Diagnose des Dachdebakels zu Tage fördert, ist medizinisch höchstens noch mit einem schweren Kunstfehler zu vergleichen. Die isolierende Decke des Dachs wurde doch tatsächlich in der falschen Reihenfolge fixiert, in dem die unten liegende Schicht auf die darüberliegende statt umgekehrt fixiert wurde. Stellen Sie sich ein schräges Zeltdach aus zwei Plachen vor, wobei die untere auf die obere gelegt wird, und das Wasser dann zwischen den beiden Plachen ungehindert eindringen kann. Doch nicht nur diese Ursache, sondern auch noch die fehlende Fixation der Isolationsdecke an den zwei Kaminen, hilft, den Jet d’eau so zu nähren, dass unser Übergang vom zweiten in den obersten Stock eher der Wildwasserbahn Atlantica im Europapark in Rust als einem Treppenhaus gleicht. Zurück auf Feld eins, und Dank der Haftpflichtversicherung des mittlerweile in Konkurs gegangenen Schleimer-Architekten, wird das Dach nochmals inklusive Isolationsdecke neu gedeckt, notabene durch die Firma, deren Projekt bei der Evaluation zu teuer war, und auch die Anhebung des Dachs nicht miteinbezogen hatte. Nach vielen Umwegen haben wir also den Fünfer und das Weggli bekommen.