Der richtige Corona-Engadiner


Sie lesen in dieser Geschichte, wie knapp Mann, etwa halb so häufig trifft es auch Frauen, an einer gesundheitlichen Katastrophe vorbeigeschrammt ist. Die zwei Engadiner Skimarathons, Epidemie-bedingt «Corona-Engadiner» betitelt, wurden in den Jahresend-Geschichten der vergangenen Jahre genauer beschrieben und waren wundervolle Ereignisse. Dieser eigentliche Corona-Engadiner wäre um ein Haar, von denen ich ohnehin nur noch wenige und kurze habe, nicht eine Jahresend-Geschichte sondern eine Lebensend-Geschichte geworden.

Dass mit Corona nicht nur die Covid 19 – Erkrankung gemeint ist, sondern darunter auch die wichtigsten Arterien vom Herz, die Herzkranzgefässe zu verstehen sind, ist allgemein bekannt. Ich nenne sie zukünftig eher Coron-Arien, zudem sie mehr als nur eine Arie verdient haben. In der klassischen Musik versteht man unter einer Arie ein solistisch vorgetragenes Gesangsstück, meist im Rahmen eines grossen Werkes, einer Oper oder eines geistlich-dramatischen Oratoriums mit Chor und Orchester. Die Coron-Arien sind somit das Kernstück, die Lebensadern des Herzens.

Eine etwas verkalkte Herzklappe hätte erst nach einem Jahr kardiologisch nachkontrolliert werden sollen. Doch wurde dieser Termin Langlauf-bedingt bei anstehender Wintersaison unter dem Motto «Mann weiss ja nie» um ein halbes Jahr vorverschoben Zur allseitigen Überraschung zeigte sich eine dieser Coronarien zu neunzig Prozent verschlossen, und dies ausgerechnet an einer Abzweigung, so dass dies nicht mit einem, das Gefäss erweiternden,  Stent behoben werden konnte. Statt einer Anmeldung an das OK des Engadiner Skimarathons erfolgte deshalb eine an die Herzchirurgie der Hirslanden Klinik in Zürich, mit der Bitte, gleichzeitig auch eine neue Herzklappe einzusetzen.

Das Vorgespräch ist Dank des Einfühlungsvermögens und der Erfahrung des Herzchirurgen äusserst positiv und lässt jegliche Heilungszweifel verfliegen. Ein leicht mulmiges Gefühl befällt einem höchstens bei der Betrachtung der sogenannten Bioklappe aus dem Herzbeutel eines Rinds, die Mutation zu einem Rindvieh ist nicht mehr weit. Der Spitaleintritt ist dann schon etwas weniger beruhigend, in dem am Empfang gerade eine Trauerfamilie verabschiedet wird. Anschliessend werde ich von der für den Transport zuständigen Dame für ein Röntgenbild in den Keller geführt, doch leider verirrt sie sich in den Katakomben, so dass wir uns dann so beeilen müssen, dass sie völlig ausser Atem gelangt, und ich mich frage, wer denn hier eigentlich eine Herzoperation vor sich hat. Im Röntgen angelangt, erkenne ich den Wartebereich, wo ich in den vergangenen Jahren schon mehrmals mit Spielern der Fussball-Nationalmannschaft für ein MRI hingepilgert bin.

Von der Operation mit Eröffnung des Brustbeins, dem Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine, der neuen Aortenklappe und der eleganten Seit-zu-Seit–Anastomose zweier Äste einer Brustwandarterie an das verschlossene Herzkranzgefäss bekommt der Operierte zum Glück nichts mit, höchstens beim Wiedereintritt aus dem Jen- ins Diesseits mit den vielen Schläuchen. Doch aller Ableitungen, Infusionen und Schläuchen zum Trotz geht die Wiedergeburt schnell, mindestens weniger lang als die Renaissance im 15. und 16. Jahrhundert. Am zweiten Tag wird auch der von mir betreute Hirslanden-Chat mit der Gesundheits-App wieder in Betrieb genommen, wobei Anfragen rar sind, da noch keine Werbung gemacht wird.

Das zweite März–Wochenende ist dann eher ein wegzudenkendes und zu ignorierendes, bei herrlichen Bildern anlässlich der Live-Übertragung des Engadiners. Immerhin bei Gegenwind und den üblichen mehligen Veränderungen der Loipenarchitektonik. Dies entspricht der Ungerechtigkeit des Engadiners, in dem die langsameren Läuferinnen und Läufer schon immer zunehmend schlechtere Bedingungen haben. Ein kleiner aber wirksamer Trost für den zu Hause gebliebenen Rehabilitator, was ja eher einer Person entspricht, die andere rehabilitiert. Wenigstens kein Terminator, der wie Arnold Schwarzenegger auf Befehl andere umbringt.

Dass ich in der Reha-Höhenklinik als Rehabilitator eher anderen helfe, wieder leistungsfähig zu werden, realisiere ich bei den Gesprächen während des Essens, in dem ich dem einen bei akutem Netzhautproblem notfallmässig den Augenarzt und dem anderen bei erlebten Kriegstraumen im Irak den Psycholgen empfehle. Da ich selber nicht einmal mehr einen kleinen Schümli-Pflümli ohne Gichtanfall überlebe, und schmerzbedingt kaum mehr gehfähig bin, ergreife ich die Flucht nach Hause, wo ich dann ambulant vom Kardiologie-Chefarzt mit seinem angegliederten Reha-Zentrum bestens betreut werde. So nebenbei realisiere ich, dass die Gichtanfälle weder vom Schümli-Pflümli noch von der Grillade kommen, sondern einzig und allein von einem eingenommenen Blutdruckmittel. Seit ich dieses sogenannt moderne Medikament verbannt habe, gab es nie mehr auch nur den Hauch eines Gichtanfalls. Ein Hoch auf Paracelsus, der schon immer gewusst hat, dass «alle Dinge Gift sind, und nur die Dosis die Giftigkeit ausmacht». So wurde aus dem, Spitzenmedizin sei Dank, symptomlos Kranken, nicht zu verwechseln mit einem eingebildeten Kranken, über den Rehabilitator ein Rehabilitierter, der sich für den kommenden Nichtcorona-Engadiner anmeldet und dem Herzchirurgen versprochen hat, im kommenden Jahr ein Action-Whatsapp aus dem Engadin zu senden.