Der feucht-fröhliche Nationalfeiertag


Wer jetzt an die Marseillaise, die französische Nationalhymne, oder an die Parade auf den Champs-Elysées denkt, liegt falsch. Trotz des Gedankens an die kriegerische Nationalhymne mit dem unzweifelhaften Aufruf zu Waffengewalt – die Gilets Jaunes entwickelten sich zwar erst viel später zu einer anarchistischen Volksarmee – besteigen wir, nicht etwa am Quatorze Juillet, sondern am ersten August friedlich unser Auto, um nach Mouans-Sartoux zu fahren, wo wir dank der Bankenbeziehung unseres St. Galler Nachbars zur 1. August-Feier im Garten des Schweizer Honorar-Konsuls eingeladen sind.

Schon die beschriftete Zufahrt zur Villa durch wunderschöne Olivenhaine, bei wolkenlosem Sommerwetter, lässt an ein rauschendes Sommernachtsfest denken, doch der Parkplatz in gerade einem solchen Olivenhain ist noch viel berauschender mit all den Limousinen, Porsches und Ferraris, ich glaube sogar einen Monteverdi zu erblicken, der mittlerweile museumsreif nur noch in einer nostalgischen Oldtimerausstellung zu bewundern sein dürfte, da sich die Schweizer Eigenproduktion in Schall und Rauch aufgelöst hat. Das automobile Outfit kann aber überhaupt nicht Schritt halten mit all den noblen, buntfarbenen Abendroben, die diesen Nobelkarossen entsteigen. Wir kommen uns vor wie Debütanten am Wiener Opernball, nur dass wir selber keine seitenfüllenden Kleidervorschriften einzuhalten haben. Wir haben uns weder an das schneeweisse Ballkleid, die weissen, ellbogenlangen Handschuhe, noch an den schwarzen Frack und die weisse Weste zu halten. Die einzige Wiener Vorschrift, die aber nur  für uns persönlich in Mouans-Sartoux gelten würde, ist das Verbot  von sichtbaren Piercings und Tatoos oder gar auffälligen Haarfarben. Ein Glück, dass meine letzten Haare ungefärbt sind. Ein Schwarm wunderschöner Zitronenfalter und ähnlicher Schmetterlinge in gelb-farbigen Kleidern entfliegt gerade auf stelzigen Highheels den roten Ferraris und stolziert Flamingo-ähnlich durch den grünen Olivenhain der Villa entgegen.

Das Glück scheint uns hold, dass wir uns nicht für Shorts und Strandsandalen entschieden haben, so dass wir im Schmetterlings- respektive Flamingoschwarm nahezu unerkannt in den riesigen Garten eindringen können. Ein grandioses Buffet wartet unser mit vielversprechenden Drinks von der Bowle über den Côte de Provence bis zum Pastis und Champagner-Cüpli, wobei sich der einheimische Rosé beim sonnigen und heissen Sommerwetter erwartungsgemäss zu oberst auf der Beliebtheits-Skala zeigt.

Wir erspähen am Rande des Gartens Eden (biblisch himmlisch als Garten der Wonne und der Seligen bezeichnet) nicht nur all die, meistens gut bekleideten Evas und Adams (einige Evas erinnern uns allerdings an die Camargue-Erlebnisse), sondern auch unseren Sponsor-Nachbarn, der aber nicht etwa Kredite, Wertpapiere oder Sparschweinchen abgibt, sondern ganz einfach St. Galler Bratwürste grilliert, selbstverständlich mit grösserer Beliebtheit als all die Lachse, Meerestiere und sonstigen kontraveganen Köstlichkeiten. Es geht doch nichts über ein offenes Bier, in Frankreich «pression» genannt, kombiniert mit einer Olma-Bratwurst, senflos selbstverständlich.

Unsere Mägen sind also vorerst gefüllt, bei der Kuh würde man vom Vormagen sprechen, dem Pansenmagen, trivial auch als Gärkammer bezeichnet. Jetzt beginnt der offizielle Teil der           1. August-Feier, so dass wir auch den Schweizer Konsul und seine Gattin erkennen. Im Gegensatz zum offiziellen Leitspruch der Schweiz an der Weltausstellung in Sevilla «La Suisse n’existe pas», als der spanische König Juan Carlos zur grössten Fiesta aller Zeiten einlud, wird heute auf lokal-patriotische und südfranzösisch liebliche Art die Existenzberechtigung der Schweiz untermauert. Möglicherweise geht es aber einmal mehr nicht nur um Schokolade , Alphörner oder Uhren, sondern um die in Paris ach so beliebte Schweizer Goldreserve, die ja Napoleon Bonaparte bereits einmal nach Paris exportieren liess.

Stellen Sie sich vor, wenn inmitten dieser Ansprache und Feierlichkeiten ein Gewitter mit Platzregen loslegen würde, da würde die feucht-fröhliche Stimmung sofort in eine Überschwemmungszeremonie übergehen, und alle würden miteinander die rettende Arche Noah besteigen wollen. Doch weit gefehlt, der Himmel ist tiefblau und wolkenlos, und das biblische Motto «alles Gute kommt von oben» hat weiterhin nur für die warmen Sonnenstrahlen zu gelten, unsere Klimafanatiker denken natürlich augenblicklich an die Solartechnologie und ans gesammelte Regenwasser. Doch alles ist vergänglich, auch die genussreichsten Momente, so knackt es plötzlich an mindestens zwanzig Orten gleichzeitig in diesem riesigen Garten, und unzählige Wasserdüsen entspringen dem vorher flachen, grünen Rasen. «Alles Gute kommt von unten» meinen die Gärtner der Familie und vergessen, die programmierte, allabendliche Bewässerung des Rasens abzustellen. Das Gekreische all der überraschten Damen in ihren langen Kleidern, die Beinahe-Evas haben diesbezüglich Vorteile, passt zur höchstgradigen Stressinkontinenz. Aber auch die vor den Wasserfontänen flüchtenden Männer in ihren gewässerten Anzügen lassen eher an einen Tiefsee-Tauchgang als an eine 1. Augustfeier denken. Wenn zukünftig für den Schweizer Nationalfeiertag wie schon so häufig schlechtes Wetter prophezeit wird, werden wir uns nicht nur griesgrämig Platzregen, Blitze und Donner vorstellen, sondern fies lächelnd auch Wasserfontänen, die jeglicher Schwerkraft zum Trotz, in den Himmel schiessen.