Wachau(f)


Aufwachen, es geht nach Wil, nicht etwa ins berühmte Städtchen oder die berüchtigte Klapse, sondern zum Wick-Reiseterminal für eine Schiffs-Velo-Reise mit Twerenbold. Trotz niedrigem Wasserstand der Donau scheint diese durchführbar. Erst am letzten Reisetag werden wir dann realisieren, dass wir die allerletzten waren, die in diesem Sommer das Vergnügen einer solchen Reise bekamen. Sowohl für den Rhein als auch die Donau wurden alle Schiffsreisen abgesagt. Ein sehr unangenehmer Zustand für die Reisebranche, kaum sind sie aus dem Coronaschlaf erwacht, fehlt das Wasser in allen Flüssen. Wir kommen jedenfalls mit unseren E-Stahleseln noch in den Genuss einer Excellence-Flussreise.

Doch genau diese Reise stand ohnehin schon auf des persönlichen Messers Schneide, da sie beinahe einer Divertikulitis zum Opfer gefallen wäre. «Wach auf, Herr Doktor, Deine linksseitigen Bauchschmerzen auf der Rückreise von Südfrankreich sind ungewohnt und seit der Darmoperation vor vielen Jahren nie mehr aufgetreten!» Der Stau auf der Küstenautobahn bei Savona und die anschliessende Meldung des sonst nicht allzu präsenten Mercedes-Navigationsgerätes mit über einstündiger Verzögerung auf der Autostrada hinauf nach Ovada, sind sicher für die Entstehung von funktionellen, stressbedingten und nicht organischen Bauchschmerzen verantwortlich. Sie hätten sich aber beim Anblick des sich auf mehrere Kilometer ausdehnenden, dreispurigen Staus in Minne auflösen sollen, zumal wir auf dem wunderschönen Weg der Regionalstrasse problemlos vorwärts kamen. Nach mehrstündiger Fahrt  waren die Schmerzen bei der Ankunft zu Hause jedoch persistent und liessen den Doktor sein eigenes CRP-Gerät, das er früher für die Fussballer-Seuchen brauchte, aktivieren, was prompt einen erhöhten Entzündungswert ergab. Das Dökterli-Spiel endete mit einer selbstverordneten Antibiotikabehandlung, was die Qualität des Aufwachens anderntags schon deutlich verbesserte. Ein «normaler» Patient hätte sicher noch mindestens diese Nacht, wenn nicht auch noch einen Tag, zugewartet und wäre dann bei lebensgefährlicher Entzündung für viele Tage im Spital gelandet.

Weshalb erzähle ich Ihnen dies so genau? Es wird Sie langweilen, da Sie endlich den Reisebericht von der Donau und somit aus der Wachau, hören möchten. Doch sollen Sie realisieren, dass auch wir Medizyner nur mit Wasser kochen, respektive gefährlich leben, da wir häufig viel zu spät zum Arzt gehen. Denken Sie daran, dass ein Körper aus Millionen von Bestandteilen und Funktionen besteht, und anfälliger wird, je älter er ist, und dass Sie nicht erst bei zunehmendem Alter wachsam sein müssen. Sie sind auch nicht die oder der einzige, die oder der das Alter erdulden muss, was auch immer Ihre Diagnosen respektive Beschwerden sind. Halten Sie durch, die nächste Hammerdiagnose folgt auf dem Fuss! Bei mir selber jedenfalls wird die Differentialdiagnose von Schmerzen immer interessanter!

In der zweiten Nacht auf dem Schiff – wach auf in der Wachau – ist es plötzlich die rechte Seite, die spukt, nicht etwa steuerbord bei der ruhig dahingleitenden Excellence Empress, sondern der rechte Bauch und die Lende lassen einen aufschrecken. Glücklich über die rechte Seite, dass es kaum ein erneut entzündeter Divertikel sein kann, kommt mir ein Steinbruch in den Sinn. Wie aus früheren Geschichten bekannt, war ich auch schon in Südfrankreich in extremis bei Nieren- und Harnleitersteinen stationär in Behandlung. Das Glück auf dieser Schiffsreise ist mir jedenfalls weiterhin hold, in dem ich Urinstäbchen mitgenommen habe. So glücklich über Blut im Urin war ich noch nie wie in dieser Nacht, gleichbedeutend mit einem Stein in den Harnwegen, und keiner Entzündung im Darm. Auf  die Selbstdiagnose folgt selbstverständlich die Selbstbehandlung mit Höchstdosis von Voltaren und Panadol, allerdings im Bewusstsein, dass solchen Patienten häufig erst im Spital mit intravenösen Opiaten geholfen werden kann. Mann kann ja mal versuchen, weiterzuschlafen, und, oh Wunder, am Morgen ist alles wie weggeblasen. Dass es kein Traum war, kann am weiterhin grün verfärbten Urinstäbchen gesehen werden, das nächtlich auf die Seite gelegt wurde.

Bepackt nicht nur mit Velo-Flickzeug und Ersatz-Shirt, sondern neu auch mit Schmerzmitteln, geht es dann auf die nächste Fahrrad-Tour in die wunderschöne Wachau, die zum grossen Erstaunen problemlos absolviert werden kann. Dank der nächtlichen Notfallbehandlung und der gebückten Stellung auf dem Fahrrad verschwinden sogar die üblichen Rückenschmerzen, die durch einen sehr engen, im MRI sogar verschlossenen, Spinalkanal bedingt sind, doch dies ist nochmals ein Spezialkapitel. Insider wissen, dass Patienten mit Spinalkanalstenosen einzig beim Fahrradfahren glücklich sind.  In der kommenden Nacht werden bei erneuten Koliken die differentialdiagnostischen Fähigkeiten nochmals auf die Probe gestellt. Nach Einwurf der gleichen Schmerzmittel wie in der Vornacht, ist am Morgen definitiv alles vorbei, der Harnleiterstein dürfte mittlerweile in die Blase geflüchtet sein. Einer weiteren Förderung der Urinmenge durch Bier und den grünen Smaragd-Veltliner steht nichts mehr im Wege!

«Carpe diem, geniesse den Tag» so lange Du kannst! Frage den Arzt lieber einmal zu viel als zu wenig. Als Ersatz für die immer seltener werdenden, allzeit bereiten, Hausärzte kommen auch digitale Medien in Betracht, gegebenenfalls auch die von mir betreute Gesundheits-App von Hirslanden.