Sturm im Wasserglas


Wer sich noch wundert, dass nach all den Erlebnissen mit und ohne Immobilien in Südfrankreich der Entschluss immer mehr reift, das Haus in Grasse zu verkaufen, sollte sich die gelesenen Anekdoten der Petit-Suisses nochmals zu Gemüte führen, oder aber Peter Mayles Geschichten aus der Provence lesen, in denen seine Erlebnisse in der Provence noch viel schöner und detaillierter beschrieben werden, wobei dieser englische Autor noch viel schneller aus dem gewählten Paradies in Ménerbes mit seiner traumhaften Landschaft, aber auch den misstrauischen und traditionsbewussten Provenzalen wieder flüchtet. Die Brexit-Thematik stammt demzufolge aus der Provence. Der grosse Unterschied zu Peter Mayles Geschichte ist aber, dass sein, mit riesigen Problemen umgebautes, Bauernhaus von seinen Lesern und Touristen, inklusive Paparazzi-Sprüngen in seinen Swimmingpool, gestürmt wird, und sich für unser Haus in Grasse keine einzige Menschenseele interessiert. Beiden gelingt es aber, mit raffinierten, provenzalischen Methoden die Besitztümer zu upgraden und zu verkaufen. Während Peter Mayle zuerst in die USA flüchtet, um sich anschliessend incognito wieder bis zu seinem Tod im Januar 2018 in Südfrankreich niederzulassen, gelingt unsere geplante Flucht nur bis Mandelieu. Es ist also beider Glück, dass das Suchtpotential der Provence zu gross ist, als dass man davon befreit werden könnte.

Nach neun Monaten Funkstille von allen involvierten Immobilien-Agenturen kommt plötzlich unfranzösische Hektik auf, als wir zufälligerweise in Südfrankreich in den Ferien sind. Die eine Agentur will am gleichen Abend noch mit einem ernsthaften Interessenten das Haus besichtigen, die andere am nächsten Tag. Trotz eigentlich ganz anderer Pläne fahren wir deshalb notfallmässig nach Grasse, um unser Haus in einen präsentationsfähigen Zustand zu bringen. Dass diese Metamorphose lebensgefährlich ist, realisieren wir erst später, da der Gedanke von fliessenden Euros alles andere verdrängt. Versetzen Sie sich doch in die Situation, dass Sie im Casino gerade den Jackpot knacken, Ihnen wäre es sicher auch egal, was draussen für Wetter ist.

Die üblichen Feuchtigkeitsflecken am Kamin im Treppenhaus werden wie schon oft noch schnell weggewischt und mit Monocouche überstrichen, für eine Feuchtigkeitsisolation bleibt selbstverständlich keine Zeit mehr. Der miefige Geruch wird mit einem Druck auf das im Treppenhaus hängende Eau de Cologne von Fragonard therapiert. Sinnigerweise haben wir selber auf das Fläschchen geschrieben: «Einmal drücken, wenn es Dir oder im Treppenhaus stinkt». Je höher wir jedoch steigen, desto feuchter wird der Boden im Treppenhaus, bis wir realisieren, dass nicht etwa das Dachfenster offensteht, was tatsächlich nach einer Visite einer mittlerweile gekündigten Immobilien-Agentur der Fall war, sondern dass es rund um ein fixiertes Oberlicht hineingeregnet hat. Der Jackpot unseres Casinos würde dadurch weit in die Ferne rücken, wenn dieser Schaden nicht sofort behoben wird, zumal ausgerechnet an diesem Nachmittag dunkle Regenwolken über Grasse hängen, die sich jederzeit über der Altstadt entleeren könnten.

Nichts wie los, mit der Leiter, beladen mit Abdichtband und Isolierkitt, zum wahrscheinlich fünfhundertsten Mal aufs Dach. Dass dabei gerade über Grasse ein kleiner Orkan hinwegfegt, wird erst später realisiert. Glücklicherweise habe ich mich flach aufs schräge Dach gelegt, nicht etwa aus Orkangründen sondern ganz einfach um beide Hände für die Isolationsarbeit frei zu machen. Nach beendeter Arbeit krieche und robbe ich zum rettenden Dachfenster, stehend wäre Tags darauf in der Nice Matin gestanden, dass der Orkan neben einigen Schiffen im Hafen auch ein Menschenleben auf dem Gewissen hat. So kann sich unser Haus in einem  temporär hervorragenden Zustand präsentieren, und tatsächlich läutet es auch schon bald, und die Immobilienhändlerin kommt mit dem Interessenten zur Hausbesichtigung. Stolz schreiten wir das trockene Treppenhaus empor und zeigen alle drei Stockwerke. Ausgerechnet als wir zu oberst sind,  beginnt es, sintflutartig zu regnen. Und oh Wunder, kein einziger Tropfen durchdringt das soeben neu isolierte Oberlicht. Niemand merkt, dass ich soeben aus lauter Stolz einen Kopf grösser geworden bin.

Begeistert verlassen die Immobilienhändlerin und ihr Interessent das Haus, mit der Bemerkung, dass wir schnellstmöglich Bescheid bekämen. Und tatsächlich folgt nach einer halben Stunde ein Telefon, dass der Kunde das Haus kaufe und wir sogleich in die Agentur kommen sollen, um den «Offre d’achat» zu unterzeichnen. In diesem Vorvertrag haben beide Seiten jedoch acht Tage Zeit, vom Vertrag zurückzutreten. Es sei ganz sicher, dass dieser Kunde das Haus kaufe, da er neu geschieden sei und für seinen schulpflichtigen Sohn eine Unterkunft in Grasse brauche. In der Euphorie des endlich verkauften Hauses sagen wir der anderen Agentur in Golfe-Juan ab, damit sie nicht vergebens nach Grasse fahren, zudem geniessen wir in einem feinen Restaurant ein vorzügliches Nachtessen. Eine leise und nicht ausgesprochene Vorahnung lässt uns jedoch nicht  einen Chateau Mouton Rothschild, sondern einen einfachen Côte de Provence kredenzen.

Anderntags folgt tatsächlich ein Telefon der Immobilienagentur, dass der potentielle Käufer mit seinem Scheidungsanwalt gesprochen habe, und dieser vom Kauf eines Altstadthauses dringend abgeraten habe. Wir bleiben somit trotz unterschriebenem Vorvertrag stolze, und wieder um einen Kopf kleiner gewordene, Besitzer eines Hauses in der Altstadt im «Secteur sauvegardée» von Grasse. Aus dem lebensgefährlichen Sturm auf dem Dach wurde ein einfacher Sturm im Wasserglas, genau wie der französische Schriftsteller Montesquieu Unruhen in San Marino beschrieben hat, nämlich als «une tempête dans un verre d’eau».