Merc-e-des


Die Vorfreude ist so gross wie bei einem Kind, das sich auf Weihnachten freut. Wahrscheinlich werden auf diese Art Autoposer geboren. Posiert wird zwar mit einem erst imaginären Fahrzeug noch nicht, aber eine ganz neue, ungewohnte und lernbedürftige Position im sich noch im Dornröschen-Schlaf befindenden e-Markt dürfte mit Sicherheit bald eingenommen werden.

Am ersten Freitag im Juli ist es soweit, dass mitten im Sommer ein Weihnachtsgefühl aufkommt, nur mit dem Unterschied, dass Weihnachtsgeschenke den Banksaldo normalerweise nicht allzu sehr verändern, und wenn schon, dann ins Positive. Eine e-Limousine im Sommer, fernab jeglicher Gratifikation, dreizehntem Monatslohn oder Lotto-Sechser, wobei die letzteren drei ohnehin kaum je der Realität entsprechen, friert ein Bankkonto sofort ein. Am Arbeitsgeber liegt es jedoch nicht; denn ein sogenannter Firmen-Flottenrabatt lässt alles äusserst rosig aussehen.

An besagtem Freitag sind die Aussichten nicht nur rosig sondern goldig, doch wird sich das Sprichwort in den kommenden zwei Tagen bewahrheiten, dass nicht alles was glänzt aus Gold ist. Schon 23 vor Christus empfahl der Römische Dichter Horaz für jeden neuen Tag «carpe diem, geniesse den Tag», und dies wird bei zunehmendem Alter umso wichtiger. Somit geniessen wir in vollen Zügen (während die ÖV-Züge Corona-, respektive Bundesrats-bedingt alles andere als voll sind) die tiefblaue Metallicfarbe mit dem Mercedes-Stern und den drei Buchstaben EQC drauf und die einschläfernde Ruhe eines Elektro-Antriebs. Ein effektives Einschlafen ist in diesen modernen Fahrzeugen jedoch kaum mehr möglich, da wird bei jeder Spurabweichung alarmierend gewarnt, es wird gepiepst, gezittert, als ob das Steuerrad akuten Parkinson hat, ja man wird sogar von Frischluft angeblasen oder zu einer Kaffeepause oder einem Gymnastikprogramm animiert, Doch wieviel Zeit wir am kommenden Tag bei unserer ersten langen e-Fahrt  wirklich haben werden, und wir Zeit für drei potentielle Fitnesszenter-Besuche hintereinander bekommen, realisieren wir in diesem Moment noch keineswegs.

Das Tagesziel des neugeborenen Chauffeurs mit seinen beiden netten ihn begleitenden Damen ist der Winterkurort Sonnleitn in Kärnten. Dass dies auch im Sommer ein Höhenkurort ist, werden wir leidend erleben, immerhin werden die beiden Passagierinnen, es handelt sich um meine Frau und die Schwiegermutter unserer Tochter, vorgewarnt, dass eine Taschenlampe nötig werden könnte, was selbstverständlich als schlechter Witz überhört wird. Zwei Tage nach der Übernahme fahren wir also frühmorgens in Herisau ab, mit dem Ziel im Verlaufe des Nachmittags in Kärnten zu sein.

Phantastisch, wie wir mit maximal zugelassener Geschwindigkeit lautlos bis zum Arlbergtunnel hinaufbrausen, um anschliessend das Inntal bis Innsbruck zu passieren. «Wollen wir bei einer dieser mit Ladestationen gekennzeichneten Autobahnraststätten nicht etwas Strom tanken», höre ich meine Frau fragen, doch der Chauffeur hat bei noch halbvollem Ladezustand mit der Angabe noch 180 Kilometer weit zu kommen, kein Musikgehör, was er jedoch schon bald bereuen wird. Bergauf wird nämlich mindestens das Dreifache an Strom verbraucht, was dann zum Teil abwärts wieder regeneriert wird. Doch geht die Brenner-Autobahn von Innsbruck an leider immer aufwärts, und auf dem Display werden keinerlei Ladestationen mehr angezeigt, die einzige noch vorhandene zuoberst am Brenner ist nämlich nur für Teslas reserviert, und Nicht-Musk-e-tiere haben hier keine Chance auf Strom.

So geht’s dann halt auf italienisch wieder den Brenner runter mit etwas Stromregeneration aber mit dem innigsten Wunsch nach einem Verbrennungsmotor, da der Brenner den Strom nicht verbrannt sondern verbraucht hat. In Sterzing können wir die Autobahn verlassen und eine Ladesäule anpeilen, die es uns digital anzeigt. Der Derby-Club ist zu unserem grossen Glück nicht ein Nacht-Club sondern mindestens tagsüber ein wunderschönes Restaurant. Dass aber die Ladestation in keiner Art und Weise auf die Kreditkarte reagiert, lässt uns so verzweifeln, dass der Wirt mitleidvoll sein Kärtchen offeriert. Gestärkt mit ein paar Kilowattstunden von der Säule und ein paar vom Kellner servierten Kalorien ziehen wir dann frohen Mutes weiter.

Das Südtirol zu durchqueren, verheisst wenig Gutes, landschaftlich zwar phantastisch, aber energiemässig auf der Kippe, auch wenn wir unmittelbar neben einer Biogasanlage in Bruneck zufälligerweise eine Mercedes Garage mit Ladesäule entdecken, bei der wir Strom sogar kostenlos beziehen. Der Ladestrom fliesst jedoch so langsam, dass sich das Picknick der beiden Damen extrem in die Länge zieht. Dank der postprandialen Hypoglykämie, also dem reaktiven Absinken des Blutzuckers nach dem Essen mit gleichzeitiger Somnolenzphase gehören auch diese neunzig Minuten schon bald zur Vergangenheit, und die e-Reise kann weitergehen.

Die Anfahrt zum zweitletzten Pass des Tages in Lienz lässt Böses erahnen, und es zeigt sich ein «Déja-vu» mit einem äusserst netten Wirt als Gastgeber, der uns seinen privaten Anschluss zur Verfügung stellt. Neben dem ausgezeichneten Essen fasziniert hier auch die Toilette, bei der auf der Männertüre Bla und auf der Frauentüre Bla, bla, bla steht, vermutlich unseren linken Feministinnen wie Funiciello oder Badran gewidmet, bei denen ihre Blahungen in Diarrhoe umgeschlagen hätten.

Wir sind jetzt also tatsächlich auf den letzten Kilometern angelangt, die noch steil bergauf bis Sonnleitn zu bewältigen sind. Und im tiefen, mittlerweile stockdunklen Wald realisieren wir, dass mit einer Reserve von nur noch einem Kilometer die letzten beiden Kilometer bergauf nicht mehr geschafft werden können. Das Grinsen des uns notfallmässig abholenden Schwiegersohns war, Dunkelheit um 23 Uhr sei Dank, nicht zu erkennen. Tags darauf ging’s dann Elektrisch-regenerierend den Berg zur nächsten Ladestation wieder runter, und wir waren um eine E-rfahrung reicher.Anmerkung der Redaktion: Nach unserer Rückkehr aus diesen Ferien fanden wir in der Post das sogenannte Mercedes.me-Kärtchen, das uns beinahe jede Ladesäule und insbesondere auch die Schnell-Lader entlang der Autobahnen öffnet.