Les Gens du Voyage


Es handelt sich um Reisende ohne fixen Wohnort, oder wie sie kürzlich in einem Donna Leon-Krimi von Commissario Brunetti genannt wurden, mobile ethnische Minderheiten. Wenn wir das nobel ausdrücken, gehören auch der Doc und seine Frau dazu, die schon als Studenten in einem VW-Campingbus umherzogen und sich seit neuem auch wie Zigeuner fühlen. Auf Deutsch tönt dies viel despektierlicher. Doch alles der Reihe nach!

Die Parallele besteht nicht nur in der Automarke Mercedes sondern auch im vielen Reisen und dem Gefühl eines schlecht definierten Wohnorts, wobei letzterer in erster Linie Väterchen Staat verursacht. Wir wissen immerhin, dass wir zu zweit sind, bei den Sintis und Romas sind die Zahlen nicht so klar, da sie fahrend sind und sich den Statistiken entziehen. In Deutschland zählt man ungefähr 130’000, in Frankreich über 300’000, in Rumänien jedoch rund zwei Millionen, und in der Schweiz werden sie auf rund 80’000 geschätzt. Die noch im alten Brockhaus aufgeführte Bezeichnung Ziehgauner dürfte tatsächlich einen rassistischen Nachgeschmack hinterlassen, dass aber eines der leckersten Grill-Fleischgerichte nicht mehr Zigeunerbraten heissen darf, ist dann wohl wieder unseren psycho-hygienischen Ethnologie-Aposteln zu verdanken.

Dass wir selber die «Gens du Voyage» als Vorbilder verehren, steht wohl nicht nur in Zusammenhang mit ihrer Steuerbefreiung, sondern auch mit dem Grilleur, der nicht allzu selten liebend gerne diesen Spiess auf dem Feuer gart. Das wichtigste Argument dürfte jedoch das Bedürfnis nach Voyage sein, insbesondere in Richtung Süden an die Côte d’Azur, aber immer mehr auch ins St. Galler Oberland, wo in St. Margrethenberg als neueste Errungenschaft ein Tinyhouse, wie auf dem Titelbild sichtbar, im Garten steht. Es waren also nicht nur die Walser ab dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts, die mit wellenartigen Wanderbewegungen die Ostschweiz besiedelten und den bisher ansässigen Bevölkerungsgruppen eine vor allem auch sprachliche Ergänzung bescherten. Typische Walser-Siedlungen waren neben St. Margrethenberg auch St. Martin im Calfeisental, das Weisstannental, Werdenberg mit Palfries und die Bündner Herrschaft mit den typischen Orten Guscha, Bovel, Rofels und vielen anderen mehr.

Unser Staat, so sehr er auch immer und überall den «Gens du Voyage» entgegenkommt, ihnen Parkplätze, ja ganze Campingplätze und sogar Wohngebiete zur Verfügung stellt, scheint das moderne Zigeunertum zu missbilligen, besonders wenn eine Arztfamilie diesen Status erstrebt. Es ist beinahe unvorstellbar, wieviele Anträge gestellt werden müssen, um als offizieller Fahrender von St. Margrethenberg nach St. Gallen zur Arbeit pilgern zu können. Am Klimaschutz kann es ausnahmsweise mal nicht liegen, denn die Umweltbelastung des Elektroboliden ist minimal. Vielmehr dürfte es für eine immer roter werdende Stadt ein Ärgernis sein, wenn ein jahrzehntelanger Bürger seinen Wohnsitz aufs Land verlegt und die Steuertantiemen den Stadtvögten entfliegen. Ein Wochenaufenthalter, man könnte Mann auch als Zigeuner mit fehlendem Wohnsitz bezeichnen, wird halt dort besteuert, wo er seinen Lebensmittelpunkt hat, und das ist neu in einem Minihaus auf dem Land, Oberland genannt. Vielleicht können sogar für die langweilige Fahrt an den Arbeitsplatz in der Hauptstadt und die entsprechenden Übernachtungen Steuerabzüge getätigt werden? Die zweijährige Bewilligung wird ohnehin beschränkt sein, da das reelle Berufsleben, Hirslanden sei Dank, nach 43 Jahren angewandter Medizyn in ein virtuell-digitales als Verantwortlicher der Digital Clinic umgewandelt wird. Zukünftig wird die Erreichbarkeit nur noch via Chat gewährleistet sein, wovon ich schon vor dreissig Jahren geträumt habe, nämlich an der Côte d’Azur bei einem Glas Rosé oder vielleicht dann sogar dank obgenannter Steuerersparnissen bei einem Glas Château d’Yquem mit foie gras oder einem Gugelhopf-ähnlichem Petit-Suisse zu sitzen oder gar am Strand zu liegen. Wie beschreibt es doch der Geisteswissenschaftler Frank Vogelsang so schön «Das Virtuelle digitaler Medien ist nie nur virtuell. Es ist Teil der menschlichen Realität.»