Hopcar


Mit dem obgenannten Begriff liesse sich noch Hoffnung schöpfen; denn ein Hope Car ist sicher nie hoffnungslos. Da es sich bei diesem Namen aber um die grösste Citroen-Garage im Grossraum Cannes handelt, denkt niemand an die Divina Commedia von Dante mit der typischen Überschrift über dem Eintritt zur Hölle « Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate» oder übersetzt «Lasst alle Hoffnung fahren, die Ihr eintretet.»

Das rote Batterie-Warnzeichen am Lebensretterauto der letzten Geschichte löscht nämlich anderntags tatsächlich wieder aus, aber nur, weil gar kein Strom mehr vorhanden ist. Nach der wahrscheinlich unnötigen Überbrückungsdiskussion, ob zuerst der Minus- oder Pluspol angeschlossen werden soll, springt der Motor tatsächlich mit Fremdenergie wieder an. Mein Sohn verabschiedet sich mit dem Ziel der nächsten Citroen-Garage. Nach zwanzig Minuten kommt jedoch ein Telefon, er stehe auf dem Pannenstreifen, und ob ich ihn die noch fehlenden achthundert  Meter in die Garage abschleppen könne. Nichts wie los ist Ehrensache nach der Lebensrettungsaktion vom Vortag, doch darf offenbar ein Allrad-angetriebenes Fahrzeug nicht mit einem Seil abgeschleppt werden. Da die Pannenhilfe kostenlos ist, lassen wir diese kommen, auch wenn es nur für einige hundert Meter ist.

Der Citroen wird also aufgeladen und in die nahegelegene Garage gefahren, wo wir kurz vor dem Abladen realisieren, dass sie noch  zehn Ferientage geschlossen ist. So folgt eine rund dreissig-minütige Weiterfahrt in die Citroen-Hauptvertretung von Cannes. Ausgezeichnet, dass jemand in unserer Familie eine französische Automarke fährt, so ist wenigstens eine sofortige Reparatur gesichert. Diese Euphorie wird jedoch schon von den helfenden Personen beim Überbrücken der Batterie und erst recht vom Abschlepper im Keime erstickt, mit der Aussage, dass sie nie und nimmer ein französisches Auto kaufen würden.

Abgeladen bei der Citroen-Garage mit dem hoffnungsvollen Namen Hop-Garage, ist auch sofort der Empfangsschalter ersichtlich, wo jedoch nur eine Reinigungsfrau Alibi-Bewegungen mit ihrem Besen absolviert, um uns mitzuteilen, dass die gesamte Belegschaft  bis vierzehn Uhr in der Mittagspause sei. Dass dabei etwa zwölf Personen im Büro daneben mit durchsichtiger Glastür in eine lockere Picknick-Diskussion vertieft sind, verstärkt den Eindruck einer wahrscheinlich gewerkschaftlich befohlenen Zwangs-Mittagspause, oder dass Arbeit im Süden Frankreichs halt doch eher ein Fremdwort ist. Wenigstens ist das Nachbarhaus ein Burger King, was uns ebenfalls einen vollen Magen beschert, auch wenn die fünfundzwanzig-minütige Wartezeit ganz und gar nicht mit der IT-gesteuerten Bestellung korreliert.

Punkt vierzehn Uhr finden wir uns in der Garage am betreffenden Schalter wieder, diesmal allerdings am Ende einer langen Kolonne. Nach zehn Minuten erhalten wir die Antwort, dass achtundvierzig Stunden bei einer Panne das Minimum an Zeitbedarf sei. «Ja aber sicher nicht, wenn nur eine Batterie ausgetauscht werden müsse», lautet unsere Erwiderung. Die nur halbnette Dame an der Rezeption versichert, uns so schnell wie möglich Bescheid zu geben. Als Kenner der südfranzösischen Mentalität rate ich von der Gutgläubigkeit ab und möchte vor Ort bleiben, bis eine kurze Untersuchung mit nachfolgender Diagnose stattfindet, doch mein Sohn will ihnen eine Chance geben. So ruft er zwei-stündlich an und erkundigt sich nach der Wiederbelebung seines Fahrzeugs. Am nächsten Morgen heisst es dann tatsächlich, man werde nachmittags schauen, und beim nachmittäglichen Telefon bestätigt der Mechaniker die abendliche Abholbereitschaft.

Doch es kommt anders. Man habe vergeblich versucht, meinen Sohn telefonisch zu erreichen und ihm sogar gemailt, dass die neue Batterie erst am Folgetag eintreffe. Das Mail ist tatsächlich erfolgt, aber zeitlich identisch mit unserem Eintreffen. Bei voller Empfangshalle ist die reaktiv mit deutlich mehr Dezibel bestückte Stimme meines Sohnes nicht sehr willkommen, da gerade ein Citroen-Verkaufs-VIP-Anlass stattfindet. Der Chef höchstpersönlich ist deshalb sofort zur Stelle und enstchuldigt sich für die Unannehmlichkeiten, er werde einen «Service urgent» für den nächsten Morgen organisieren, damit sich die vorgesehene Heimfahrt in die Schweiz nicht noch weiter verzögere.

Auf die vereinbarten Achtuhrfünfzehn am nächsten Morgen treffen wir bei der immer noch nur halbnetten Rezeptionistin wieder ein, um zu realisieren, dass weder diese Dame noch der Chef vom Vorabend zu uns herüber schauen. Wenigstens schmeckt der angebotene Nespresso mit dem Croissant und Pain au Chocolat ausgezeichnet, bis wir die Hiobsbotschaft erfahren, dass das Auto erst am Abend fertig sei.

So geniessen wir dann die allabendliche Rushhour speziell, doch kann der Verkehr noch so zäh und Nerven-tötend sein, wenn die abgeschlossene und schon bezahlte Rechnung für die neue Batterie und das Aufstarten der Elektronik erledigt sind. Das nächste interne Telefon, wahrscheinlich vom Mechaniker, an die Dame der Rezeption und ihr Ausruf «mon Dieu!» lässt Ungutes erahnen, und schon folgt die Mitteilung, dass ein Problem mit erneuter Entladung nach dem Aufstarten aufgetreten sei, was unsere eigene Theorie mit Defekt an der Lichtmaschine und gar nicht an der Batterie unterstützt. Verglichen mit der Behandlung eines Menschen ist dies ein zu spät diagnostizierter Herzinfarkt bei angeblich harmloser Durchblutungsstörung eines Beins, und dies erst am zweiten Tag nach Blaulicht-Ambulanz-Eintritt auf einer normalen Station statt auf einer Intensivstation.

Im Unterschied zum Herzinfarkt-Patienten, ist es beim vorsorgenden Autofahrer möglich, bei längerdauernder Reparatur, sich nach Hause fahren zu lassen. Meistens mit dem Zug, wie dies dem Schreibenden und seiner Frau schon vor Jahrzehnten mit alten VW-Bussen mehrfach widerfahren ist. Was aber wenn rund einjährige Zwillinge auch nach Hause müssen? Das von der Versicherung zur Verfügung gestellte Mietauto ist nämlich so klein, dass nicht einmal der Zwillingswagen Platz  hätte. Bei der Vaudoise-Versicherung wird dies zur Chefsache. Und da es bei dieser Versicherung keine zwei Alphatiere wie bei der gleichzeitigen Schmierenkommödie der Credit Suisse gibt, wird auch sofort kommuniziert, dass anderntags ein Taxichauffeur mit einem Grossraum-Fahrzeug die ganze Familie nach Hause fahre. Wer könnte sich sonst einen Chauffeur für die Fahrt von Mandelieu nach Zürich Höngg leisten? Nach Herrliberg wäre es vermutlich schwieriger. Doch noch viel problematischer als bei nachbarlichen Banker-Zwisten scheint die südfranzösische Potenz der Hilfsbereitschaft zu sein. Das eingeschränkte Wissen der Handwerker ist jetzt schon mehrfach beschrieben, doch wenn es um Leben und Tod oder Fachwissen im Grossraum von Sophia Antipolis, dem Französischen Silicon Valley geht, scheint die gesamte Ausbildung in Pädagogik, Technologie und erster Hilfe zu versagen. Vielleicht ist dies der Grund, dass sich diese Universität immer mehr nach Nizza zentriert. Immerhin wurde im achtzehnten Jahrhundert ein Absolvent der medizinischen Fakultät in Nizza automatisch in den Adelsstand erhoben!