Hidalgo


Hidalgo hiess ein von uns einige Monate lang gehüteter Hund, den wir jedoch wegen Hyperaktivität trotz chefärztlicher Beziehung nicht bändigen konnten, da es an Hunde-Ritalin mangelte. Im Film «3000 Meilen zum Ruhm» ist Hidalgo ein ultraschnelles Pferd, genauer ein Mustang, der einen Wettkampf durch die arabische Wüste bestreitet. Hidalgo ist aber auch ein Begriff für einen spanischen Adelstitel, jedoch nicht vom höchsten Grad, am ehesten entspricht dies einem Edelmann. Eine Edeldame wäre dann eine Hidalga, was beim Vornamen Ana Maria eher zur Pariser Stadtpräsidentin passen würde. Aber als sozialistische französische Politikerin muss man, nicht nur Mann sondern auch Frau, sich Chamäleon-artig adaptieren können. So erreicht die 1961 aus Spanien Eingewanderte und 1973 Eingebürgerte das höchste politische Pariser Amt als Anne Hidalgo, erstmals gewählt 2014 und wiedergewählt 2020, obwohl sie sich 2003 auch die spanische Staatsangehörigkeit zurückholte. In der Neuzeit gehören ja Doppelbürger ohnehin zur Normalität, sonst würden nicht soviele Schweizer auf dem Balkan wohnen. Wussten Sie, dass einem der wohl berühmtesten Spanier im  Jahr 1940 die Einbürgerung in Frankreich verwehrt blieb? Picasso war kein Chamäleon!

Sie hören in diesen Worten aber nicht nur Kritik an der Pariser Stadtpräsidentin, eine ansehnliche Dosis Bewunderung ist nicht abzuleugnen. Die französischen Sozialisten und offenbar auch speziell Sozialistinnen setzen ihre Ideale im Gegensatz zu unseren ideologischen Theoretikerinnen in die Tat um. Während die sozialistische Parteien in Europa, mit Ausnahme eines kleinen Personen-spezifischen Zwischenhochs in Deutschland, ihren Niedergang beschönigen, wurde und wird in der französischen Hauptstadt  mit den Kernzielen Kultur, sozialer Wohnungsbau und Ökologie Furore gemacht. Im Rahmen von Letzterem wurden die Fussgängerzonen, das Strassenbahnnetz, die Fahrradwege und das Tourismusangebot ausgebaut. Da liegt genau der Unterschied, ein ausgebauter Tourismus wird bei uns von links-grün mit dem Vorwand von CO2-Senkung verhindert.

Meine Wertschätzung der Pariser Politik hat jedoch auch einen sehr subjektiven und egozentrischen Hintergrund. Waren Sie schon einmal mit dem Fahrrad in Paris? Noch vor zehn Jahren wäre dies eine Kamikaze-Aktion, ein Selbstmordkommando gewesen. Jetzt aber führt ein solches Unterfangen nicht in den Himmel sondern der Seine entlang zum Eiffelturm, dann am autofreien rechten Seine-Ufer (Rive Droite genannt) zum Anfang der Champs Elysées am Place de la Concorde, vorbei am  Louvre, um dann die Seine wieder bis zur Île de la Cité mit der Kathedrale Notre-Dame zu überqueren.

Victor Hugos Glöckner von Notre-Dame treffen wir zwar nicht an, jedoch das im Frühjahr 2019 dramatisch abgebrannte Weltkulturerbe, das angeblich bis zu den olympischen Spielen 2024 wieder hergestellt sein soll, was trotz berühmter französischer Architektur und Baukunst angezweifelt wird. Zum Glück heisst die Kathedrale nicht «Unsere Mutter» und liegt sie an der Seine und nicht am Rhein; denn die für die Rekonstruktion des Dachstuhls idealen, einzeln ausgewählten zweitausend Eichen, fünfzig bis hundert Zentimeter im Durchmesser messend und von mindestens acht Meter Höhe, wären in Deutschland oder der Schweiz nie und nimmer gefällt worden. Die wenigen französischen «Eichen-Schützer», die von einem Ökozid sprechen, werden übrigens mit Idefix verglichen, der bei jedem von Obelix versehentlich gefälltem Baum jämmerlich weinte.

Madame Hidalgo lässt jedoch nicht nur Bäume fällen, wobei dies eigentlich des Staatspräsidenten Domäne ist, sondern sie liquidiert ganze Strassen oder halbiert sie, in dem sie die rechte Spur in einen Fahrradweg verwandelt. Dass Autos dafür stundenlang im Verkehr stecken, scheint den Parisern egal zu sein, viele sind ohnehin schon auf den öffentlichen Verkehr, aufs Fahrrad, E-Bike, E-Scooter oder sogar einen Segway umgestiegen. Dies zeigen die Kolonnen von Radfahrern, die sich der Seine und den Hauptstrassen entlang durch Paris bewegen. Dass sich dieser eigentlich gemütliche und gesunde Ein- oder Zweirad-Verkehr zeitweise leider wieder zur lebensgefährlichen Alternative entwickelt, ist einmal mehr dem Individuum Mensch zu verdanken. Da rauscht es plötzlich von hinten, und ein Segway oder hochgezüchtetes E-Bike saust mit fünfzig Stundenkilometern höchst knapp an den Normalos vorbei, bis eine oder einer einen kleinen Schwenker macht, der, wenn sie oder er Glück hat, nicht direkt zu Dieu in den Himmel führt sondern ins Hôtel-Dieu oder ein anderes Hôpital de Paris.

Möglicherweise ist dies auch der Grund, dass bei zukünftigen Velo-Schiffsreisen auf, respektive entlang, der Seine dieser Fahrrad-Teil von Paris nicht mehr aufgeführt wird. Vielleicht sind wir die Letzten, die an einem solchen Survival-Event teilnehmen können. Die meisten von uns realisieren die Gefahren gar nicht, mein Fehler ist vermutlich, dass ich als kontrollierendes Schlusslicht unserer E-Bike-Gruppe fahre. Offenbar bin ich nicht der einzige Warner; denn Madame Hidalgo beschränkt ab sofort die E-Scooter auf maximal zehn Stundenkilometer. Beim Dinner auf unserer noblen Excellence Royal wie unser Flusskreuzfahrts-Schiff heisst, realisieren wir dann die Alternative des «Paris à deux roues», des zweirädrigen Paris, nämlich das herkömmliche Automobil. Für die Passage der circa zwei Kilometer langen Strasse am anderen Seine-Ufer benötigen die Fahrzeuge die Dauer unseres ganzen Fünfgängers, und das sind für uns rund zwei Gourmet-Stunden, für die Autofahrer am gegenüberliegende Seine-Ufer jedoch eher eine «Gourmandise de perte de temps», eine Delikatesse von Zeitverschwendung. Ob Madame Hidalgo deren Stimme weiterhin bekommt, wage ich zu bezweifeln, ebenso dürfte ihr grössenwahnsinniges Streben nach der präsidialen Staatsmacht Macrons zum Scheitern verurteilt sein. Aber vielleicht liegen ihre Ideen des in den Städten zu unterbindenden Individualverkehrs, anders kann die generelle Einführung der Maximalgeschwindigkeit von dreissig Stundenkilometern nicht interpretiert werden, viel näher an der Realität als unsere bald fundamentalistische Gläubigkeit ans angeblich saubere Elektroauto.