Wissen Sie, was ein Glaziologe ist. Also ich bin keiner, obwohl die Haare schon lange verschmolzen sind. Glaziologen sind auch weder Haarkliniker, Haartransplantatoren noch -Veredler, es sind Gletscherspezialisten. Und wenn man vielen von ihnen glaubt, sind sie bald arbeitslos, da die Gletscher seit vielen Jahren, ja sogar Jahrtausenden, einem auto-lytischen Prozess unterliegen. Die Klimaneutralisten freuen sich über diesen Ausdruck, da das Auto ohnehin der grosse Bösewicht unserer Zeit ist, und wenn es sich auflöst, ein Schädling weniger die Umwelt zerstört. Doch wie sieht es im Detail mit der aktuellen Glaziologie aus? Ich masse mir keineswegs an, mich auf solche Spezialgebiete einzulassen, davon verstehe ich nämlich überhaupt nichts, aber ein kleines Mü gesunder Menschenverstand würde zeitweise auch den Wissenschaften gut tun.
Es entspricht der Tatsache, dass die Gletscher in den letzten hundert Jahren die Hälfte ihrer Eismasse verloren haben und ihre Fläche auf einen Drittel geschrumpft ist. Eine Eiszeit erleben wir aktuell definitiv nicht, doch sind diese Eiszeiten, Zwischeneiszeiten und Wärmeperioden durch uns Menschen beeinflussbar? Wir sprechen ja gegenwärtig fast nur vom CO2, aber wussten Sie, dass es für eine Erdabkühlung durch athmosphärische CO2-Senkung Jahrtausende braucht? Wie schön wäre es doch, wenn die Ziele des Pariser Klimaabkommens mit einer maximalen Erderwärmung von 1.5 Grad erstens kurzfristig erreicht würden und zweitens Gletscher regenerieren könnten.
Die Mitglieder der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft veröffentlichten zu ihrem 200-jährigen Jubiläum Details über die Eiszeiten der Region St. Gallen. Die vorstossenden und sich wieder zurückziehenden Gletscher prägten vor Zehntausenden von Jahren unser Landschaftsbild. Ein Säntisgletscher hatte sich zwischen dem Linth- und Rheingletscher ausgebreitet, wobei sich eine Zunge dieses Rheingletschers südwestlich des Bodensees in drei Zungen aufgespaltet hatte, eine über St. Gallen bis Gossau, die zweite vom Tannenberg bis gegen Wil und die dritte von Weinfelden bis Sirnach. Also eine riesige Gletscherfläche, die während dieser Würm-Eiszeit das Schweizer Alpen- und Mittelland bedeckte, und niemand schrie nach deren Rückzug nach einer CO2-Reduktion. Zurück blieben als Zeitdokumente eiszeitliche Ablagerungen, Moränenwälle, eisrandliche Schüttungen und Schmelzwassersedimente, oder anders ausgedrückt das Appenzellerland mit Alpstein, der Bodensee und verschiedene Flusstäler, so auch das Rheintal. Ausserdem finden wir auch heute noch am Rande des Stadtgebiets wunderschöne Fossilien, zumal sich ganz Europa vor Millionen von Jahren unterhalb des Meeresspiegels befunden hatte. Wir sind demzufolge haarscharf an Wassernymphen vorbeigeschreddert, vielleicht tau(ch)t ja eine aber noch auf und entrinnt in Özi-Manier dem ewigen Eis? Die zuerst in Europa beheimateten Neandertaler flüchteten übrigens während der letzten Eiszeit nach Westasien und starben dennoch vor rund 40’000 Jahren aus.
Betrachten wir unsere Gletscher also aus der Ferne, sprich historisch, so stellen wir fest, dass es nach jahrtausendlanger Erwärmung etwa vor 115’000 Jahren zu einer deutlichen Abkühlung kam, was die beschriebene Würm-Eiszeit bedeutete. Danach, ungefähr vor 10’000 Jahren, kam es wieder zu einer Erwärmung, die bis heute andauert, und in der sich die Gletscher massivst zurückbildeten. Statt kurzfristig denkende Klimaforscher sollten wir wohl eher erfahrene Glaziologen beiziehen. In keiner Art wird hier bezweifelt, dass bei steigenden Temperaturen ein Teufelskreis den Permafrost, also die ganzjährig zugefrorenen Böden, auftauen lässt, und somit Methan und Kohlendioxid in die Luft austreten lässt, was dann wieder die Erdatmosphäre erwärmt und das Eis noch mehr schmelzen lässt. Aber wieviel von alledem menschlich beeinflussbar ist, dürfte in Zukunft noch intensiver diskutiert werden. Geniessen wir doch die aktuelle Wärmeperiode, statt immer zu lamentieren. Persönlich freue ich mich über die steigenden Oechsle-Grade meiner biologischen Trauben, somit auch am immer edler werdenden, mittlerweile sogar in einem Eichenfass reifenden, Haggenhaldener, der auf einem ehemaligen Gletscher wächst. Nur schade, ist der Begriff Eiswein für bis im Winter gereifte und gefroren gepflückte Trauben reserviert.