Futsal


Der von der Nationalmannschaft verwöhnte   Fussballdoc besteigt spätabends um 21 Uhr beim Stade de Suisse den Car nach Novigrad, immerhin ein Luxuscar und nicht der kleine Strassenkreuzer daneben. Der für uns bereitstehende Bus wird in drei Tagen nach seiner Rückkehr die Nordiren zur Schlacht gegen die Schweiz fahren. Der Chauffeur hat aber kein Gehör für meine Idee, sie dann überraschend nach Morgarten zu führen, um ihnen zu zeigen, wie es Schweizer Gegnern auch nach 1315 ergeht. Weshalb ist der Doc verwöhnt? Weil er zu bisherigen Fussballevents mit dem Car an den nächstgelegenen Flugplatz gefahren worden wäre, um dann in gecharteter Businessclass an ein fussballerisches Highlight oder Debakel zu fliegen und womöglichst sogar auf dem Rollfeld direkt abgeholt zu werden.

Im Car Bern Wankdorf ab 21 Uhr gibt’s keine Hierarchie der Plätze, Futsal ist halt in der Schweiz noch eine Randsportart ohne präsidiale und mediale Begleitung und ohne allmächtige Trainer, aber, was niemand weiss, ist es weltweit der am häufigsten ausgeübte Hallensport. Eine kleine Anekdote über die Futsal-Entwicklung in Deutschland erfahre ich vom Assistenztrainer, wo im Fussball-verwöhnten Deutschland diese Sportart erst vor zwei Jahren eingeführt wurde, dies aber mit deutscher Gründlichkeit. Die Schweiz musste heimlich hinter verschlossenen Türen Freundschaftsspiele gegen Deutschland spielen, da fussballerische Niederlagen gegen die kleine Schweiz unter der Würde des Fussball-Weltmeisters sind.

Statt ins Belpmoos auf den Flugplatz geht‘s also Richtung Gotthard, und statt in den nordirischen Hexenkessel Belfast, wo das A-Team das Hinspiel bestreitet, ins kroatische Novigrad, früher Cittanuova, neue Stadt genannt, wobei mir das schweizerische Neuchâtel von der Fahrdistanz her viel sympathischer wäre. Für mich wenig überraschend, wird wegen eines Schwertransports am Gotthard ein künstlicher Stau erzielt, so dass die eh schon lange Fahrzeit noch länger wird. Gesäss und Beine schlafen schon in Chiasso ein, als auch hier die Reise künstlich über Como verlängert wird, da nachts an den Autobahntunnels am Monte Olimpino gebaut wird. Die ungefähr zwanzig Kilometer lange Umleitung endet selbstverständlich 100 Meter vor der Zahlstelle, in dem die Strasse dort wieder auf die Autobahn geleitet wird. Dies sind sicher die teuersten hundert Meter, die ich je auf einer Autostrada gefahren bin, selbstverständlich mit dem Vorteil, die Autobahngebühren nicht selber bezahlen zu müssen. Doch wer schon in der Gegenrichtung von Italien kommend an diesem Monte Olimpino Schlange gestanden, respektive bestenfalls im Kriechtempo vorangekommen, ist, kann sich über einen kleinen Umweg bergauf nicht beklagen.

Diese Reise erinnert mich an mittelalterliche Foltermethoden, gerädert nach dreizehn-stündiger Busfahrt, den Zug von St. Gallen miteingerechnet, sind es sechzehn Stunden Reise, mit dem Flieger hätten wir in dieser Zeit beinahe die ganze Erde umkreist. Nach dem zweiten Espresso in Novigrad kommt das persönliche Räderwerk so langsam wieder auf Betriebstemperatur, als schon bald zum ersten Training in der danebenliegenden Sporthalle gerufen wird. Futsal erscheint mir nicht etwa als ein Buch mit sieben Siegeln; denn das technisch anspruchsvolle, schnelle Spiel kommt dem üblichen Fussball ziemlich nahe, doch bin ich zeitweise der Meinung, an einem internationalen Zahlenlotto teilzunehmen. Da ruft der eigentlich italienisch sprechende Torwart ständig eins, zwei oder drei, einige Male sogar thirty one. So etwa nach dem zehnten Auswurf realisiert sogar der Doc, dass dies den angespielten Spieler betrifft, eins der Hinterste und thirty one der Vorderste, auch Pivot genannt. Dieser englische Begriff aus dem Sport heisst so etwas wie ein Sternschritt. In der Medizin ist der Pivot shift ein gefürchtetes Wort, nämlich ein untrügerisches Zeichen für eine Knieinstabilität bei einem Riss des vorderen Kreuzbands. Irgendwo in der Halle scheinen alle Spieler einer jungen Dame namens Giorgia zuzurufen, bis ich endlich realisiere, dass dies eine Einwurfvariante ist, die ich aber nach zwei Trainings und drei Turnierspielen immer noch nicht begreife. Ob die Spieler alles begreifen, bin ich mir auch nicht ganz sicher, sonst wären wir vielleicht besser klassiert als auf dem dritten Rang von drei Teams. Diese Bronzemedaille, für mich sicher ein einmaliges Unikat, trage ich aber mit Stolz nach Hause und auf unserem Familien-Chat wird sofort ein Bild geladen. Schade, dass die Enkelin gleich fragt, wieviele Mannschaften denn eigentlich teilgenommen hätten, so dass sich mein olympisches Bronzemedaillen-Gefühl Chamäleon-artig sofort in ein trauriges last- oder auch lost-Feeling verwandelt. Da ist ja plötzlich noch eine andere Trophäe in meiner Trainerjacke, als ich realisiere, dass ich beim Geschenketausch vor dem Spiel gar nicht den offiziellen Kugelschreiber des Schweizerischen Fussballverbands sondern irgend einen Reklame-Kugelschreiber gegen das orange Wappen des Holländischen Fussballverbands getauscht habe. Das Staff-Mitglied der siegreichen Niederländer dürfte sich wundern, mit einer Schweizer Krankenkasse einem Spital oder gar einer Medikamentenfirma verbunden zu sein, wenigstens war noch ein Pin unseres Fussballverbands dabei!