Fanny


Bei Fanny handelt es sich um den bekanntesten, aber auch berüchtigsten Vornamen in Südfrankreich. Es ist aber kaum anzunehmen, dass auch nur ein einziger Südfranzose seine Tochter mit diesem Namen verunglimpfen würde. Diese französische Kurzform von Franziska tönt ja eigentlich wunderschön, doch denken die Engländer bei Fanny offenbar vulgär eher an die weiblichen Genitalien und die Amerikaner an den Hintern. Dass dabei ausgerechnet die Amis der französischen Wahrheit am nächsten kommen, dürfte eher einem Zufall entsprechen, vielleicht dachten sie eher an «funny», als dass sie etymologisch bewandert wären, also von der Herkunft von Wörtern etwas verstehen würden.

Fanny ist im Pétanque-Sport, auch Jeux de Boules genannt, der Inbegriff einer blamablen Null-zu-dreizehn Niederlage. Die Überlieferung sagt, dass um das Jahr 1910 eine hübsche Serviertochter in Savoyen den Zu-null-Verlierern ihre Wange für einen Trostkuss hinhielt. Dies führte jedoch dazu, dass sich diese Niederlagen so sehr häuften, dass sogar der Bürgermeister dieses Örtchens mit Kussabsichten null zu dreizehn verloren habe. Doch stieg diese Fanny dann auf einen Stuhl und streckte dem Bürgermeister ihren Hintern für einen Kuss entgegen. Heute finden sich häufig statt lebende Objekte eine Skulptur oder ein Bild mit Fanny’s Pobacken, die dann von den unglücklichen Verlierern öffentlich geküsst werden müssen, die schlimmste Strafe für einen Boulisten.

Die St. Galler Fussball-Legenden, alles ehemalige oder noch aktive Fussballtrainer, mit denen ich alljährlich im Dezember in ein Skiweekend fahre, haben dies wohl grundfalsch interpretiert. Beim wegen Schneemangels durchgeführten Boules-Spiel liessen nämlich die drei Null-zu-dreizehn-Verlierer allesamt ihre Hosen runter und warten bis heute auf den Kuss der Fanny. Das Bild von diesen entblössten Hintern geistert noch immer in den Whatsapps herum, zum Glück habe ich keinen Account bei Facebook oder Instagram, Hunderttausende von Followern wären uns sicher gewesen.

Selber ein Fanny zu kassieren, haben wohl die meisten Boules-Spieler schon hinter sich gebracht, auch müssen heutzutage kaum mehr Fanny’s Pobacken geküsst werden, doch gegen die eigene Frau in einem sogenannten Tête, das heisst eins gegen eins, beim Strand neben dem Schloss von La Napoule null zu dreizehn  zu verlieren, ist ein psychologischer Schock, dessen Traumawirkung nachhaltiger nicht sein kann. Da helfen alle Ausreden von sandig-steinigem Boden über schlechte Kugeln bis hin zu Unebenheiten und Schräglage des Geländes nichts. Das einzige, was in Schräglage haften bleibt, ist das angekratzte Ego des Boulisten.

Anderntags werden wir von der ach so ersehnten und psychisch potentiell so wichtigen Revanche auf einem richtigen Boules-Platz abgehalten, in dem das Ehepaar daneben uns für ein Spiel anfragt. Im Bewusstsein, mit meiner «Fanny» zusammen spielen zu dürfen, verzichte ich sogar auf die Revanche, die mir übrigens bis zum heutigen Tag noch nicht gelungen ist. Der echte französische Pétanque-Spieler (das Spiel heisst Pétanque, da die Füsse beim Abwurf am Boden bleiben müssen, mit pieds tanqués, geschlossenen Füssen) inklusive echtem Beret auf dem Kopf, schaut etwas verächtlich auf meine Frau, und schlägt daher ein internationales Mixte vor. Wir dürfen dem einheimischen Profi, mindestens führt er sich so auf,  ja nicht widersprechen und erwähnen somit weder das gestrige Fanny-Debakel noch meine kürzliche erfolgreiche Teilnahme an der Marseillaise, dem wohl weltweit grössten Boules-Turnier mit mehr als dreizehntausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

Während unserer mentalen Vorbereitung mit Teambildung frage ich meine französische Partnerin, ob es ihr recht sei, wenn sie als Pointeur und ich als Tireur spielen würde. Wie ich mittlerweile gelernt habe, sind diese beiden Begriffe militärischen Ursprungs, in dem das französische Verb «pointer» bedeutet, eine Kanone zu richten, und der Tireur dann wirklich schiesst, in dem er den Zunder betätigt. Meine Madame Pointeur ist noch so froh, nicht schiessen zu müssen, das gleiche scheint auch bei unseren Gegnern der Fall zu sein.

Das Spiel beginnt mit beidseits hervorragenden Kugeln nahe beim Cochonette, der Zielkugel, auch Schweinchen genannt. Der aufmerksame, nicht Pétanque-bewanderte, Leser realisiert die hohe Qualität der beiden pointierenden Damen, doch versagt der einheimische Profi, in dem er kläglich seine drei Kugeln verschiesst. Zu Beginn schon null zu vier hinten zu liegen, missfällt ihm so sehr, dass er sich erstens eine Zigarette anzünden muss und zweitens fortan jede Kugel meiner Fanny-gewohnten Frau negativ beurteilt und ihr so gute Tips gibt, dass sie beinahe das Pointieren verlernt. Als er aus dem Zigaretten-Nebel wieder auftaucht und beginnt, auch seiner Frau, also meiner Spielpartnerin, Tips zu geben, schreite ich patriarchalisch ein und lasse sie so mental überzeugen, dass ihr Mann ab sofort inexistent ist. Dass  das Schlussresultat mit dreizehn zu zehn noch relativ knapp wird, ist keineswegs einem verbesserten Visier des Profis zuzuschreiben sondern der ausgezeichneten Madame Pointeur, die trotz mentaler männlicher Behinderung beinahe auf dem Fanny-Niveau des Vortags spielt. Es sind also wieder einmal die Petit-Suisses, die auf südfranzösischem Boden im Gegensatz zu den Fussballern den Einheimischen  sportlich den Meister zeigen, nicht nur bei den Uhren, der Schokolade und dem Geld. Vielleicht eine verspätete Rache für den von Napoleon entwendeten Staatsschatz? Allez les Bleus und hopp Schwiiz, auch ohne Fanny.