Entwickel sich „La Grande Nation“ zu einem Problemstaat?


Erinnern Sie sich an die Versicherung aus der Geschichte «Maison à vendre – La Courette», die den Feuchtigkeitsschaden im Haus von Grasse nicht bezahlt hat, da das Haus in einem Monat ohnehin verkauft werde. Ausserdem seien die Wände gemäss ihrer Expertise noch viel zu feucht gewesen. Wir wurden damals – OBI sei Dank – zu stolzen Besitzern eines Hygrometers mit Mess-Sonde, die in der entsprechenden Wand des Wasserschadens mit der «Fuite d’eau» keine Feuchtigkeit mehr nachweisen liess. Diese Wand wurde deshalb zwei Tage vor dem notariellen Verkaufstermin von uns selber gestrichen, und wir haben bisher von keinen Rheumaschüben der neuen Besitzer gehört.

Vielmehr sind es Depressions- und Aggressionsschübe unsererseits wegen besagter Versicherung, die bei uns schon wieder mental den Moloch, respektive das Sammelkässchen gieriger Rechtsanwälte in Erinnerung ruft, da wir auf keinen Fall auf die uns noch zustehenden eintausendfünfhundert Euro verzichten wollen. Die zwei Versicherungen wurden von uns termingerecht auf das Verkaufsdatum des Hauses gekündigt, die eine Versicherung die Hausmauern, die andere die Innereien, das Mobiliar miteingeschlossen, betreffend. Das Kündigungsschreiben war selbstverständlich von einer notariellen Verkaufsbestätigung begleitet. «Es täte ihnen sehr leid, doch leider hätten wir keine schon bezahlten Prämien mehr zu gute, da die Versicherung der Mauern auch den im Parterre beheimateten Bouquiniste  beträfen.» Dieser hatte jedoch seinen Laden schon vor einem Jahr verkauft, und die neue Besitzerin hatte schon damals ihre eigenen Versicherungen abgeschlossen.

Konkret ist also weiterhin ein Grossteil unserer, im Voraus bezahlten, Versicherungsprämie ausstehend. Das reicht jedoch nicht als Ärgernis; denn wir bekommen von unserer Bank die Mitteilung, dass besagte Versicherung in drei Tagen unser Konto mit einer weiteren Jahresprämie belastet. Das sofortige Telefon an die Bank lässt Ungutes erahnen, da der Auftrag nicht mehr gestoppt werden kann.

Wen wundert’s, dass wir mitten im Winter unsere gelben Fahrradvesten reaktivieren, um uns den Gilets Jaunes in Paris anzuschliessen! Im letzten Moment kommt noch ein cc eines wunderbaren und letztendlich auch wundersamen Schreibens von der neuen Ladenbesitzerin an unsere Versicherung, mit den so typisch hochfranzösischen, aber auch volksnahen Worten: «C’est assez hallucinant, il y a des notaires pour vous informer, que les biens sont vendus et ne pas prélever – pour ne pas dire voler – de l’argent indu. Messieurs mesdames: Notre argent ne vous appartient pas» Zusammengefasst heisst dies, dass uns die Versicherung  augenblicklich das für sie ungebührliche – um nicht zu sagen gestohlene – Geld zurückzuzahlen habe, da sie schon immer auf dem notariell aktuellsten Stand der Dinge gewesen sei.

Den notariell aktuellsten Stand der Dinge hat wohl auch die UBS realisiert, als sie wegen, vor Jahren durchaus noch legalen, Kontoabschlüssen von französischen Kunden auf Grund von Aussagen sehr zwiespältiger, und teilweise offiziell auch schon verurteilter, Whistleblower zu einer Geldstrafe von fünf Milliarden Franken verurteilt wird. Einer dieser drei Hauptzeugen muss sogar zugeben, dass er gar nie in Frankreich gearbeitet hat.

Eine Anklage wegen Geldwäscherei ist heutzutags absolut «in», wird aber dann morgen zu spät als Betrug entlarvt, wenn weitere solcher Bussen und Anklagen auf andere Banken, aber auch Grossfirmen, ausgeweitet werden; denn der mit neunundneunzig Prozent des Bruttoinland-Produkts, weit über zwei Billionen Euro entsprechend, hochverschuldete französische Staat braucht dringend Geld. Wie war das doch damals, als Napoleon Bonaparte den Berner Staatsschatz, dem Wert von umgerechnet mehreren hundert Millionen Euro entsprechend, nach Paris mitlaufen liess? Zuvor hatte er in den Jahren     1798 – 1799 einen Grossteil der heutigen Schweiz besetzt und die helvetische Republik gegründet. Die Berner Goldmünzen wurden damals in französische Francs umgewandelt, und Napoleon III versuchte später, damit die erste europäische Währungsunion zu bilden. Die Währung hätte Europa statt Euro geheissen und war schon damals ein Luftschloss.

Nach einem halben Jahr intensivstem Mailverkehr und unzähligen Telefonaten folgt schliesslich die schon immer erwartete, lapidare Mail-Antwort: «En effet, les remboursements ne devraient pas tardés à arriver.» Oder mit andern Worten, dass unsere zurückzuzahlenden Prämien ohne Verzögerung überwiesen würden. Die neue Ladenbesitzerin respektive Lehrerin der Parfum-Schule trifft bei ihrem Kommentar den Nagel auf den Kopf: «On comprend le mouvement des Gilets Jaunes: plus rien ne fonctionne en ce pays!» Bei unserer baldigen Reise nach Südfrankreich werden wir provokativ in unseren gelben Westen mit dem Fahrrad auf die Bank fahren, um gespannt den Kontoauszug zu prüfen. Und die einleitende Frage, ob sich Frankreich zu einem Problemstaat entwickelt, muss leider mit «ja» beantwortet werden. Eines der Hauptprobleme liegt in der hohen Verschuldung und dürfte mit ein Grund für die Schwäche des Euros gegenüber dem Schweizer Franken sein, so dass der Charme der wunderschönen Provence und Côte d’Azur zukünftig nicht nur unsere Augen, sondern auch das Portemonnaie entzücken wird.