Ein Hertz für den Petit Suisse


Der Titel lässt es nicht erahnen, aber es handelt sich in der Tat um die Fortsetzung der Kühlschrankgeschichte. Die Einkaufstour des neuen Kühlschranks beschert uns ja eine vollständig neue Küche, ein neues Bad und als Supplement noch eine Klimaanlage. Und da am Montag Morgen die Handwerker zur Démolition des alten Bads angemeldet sind, muss das Studio noch vorbereitet werden, damit der entstehende Staub nicht ganz alle Schränke mit Bettwäsche und Geschirr zu einem Sandsturmopfer umwandeln kann, was historisch halb histerisch schon erlebt wurde.
Der erneute Flug nach Nizza findet ausgerechnet am Folgetag des grossen Fussballdebakels statt, als die Petits Suisses blauäugig gegen Les Bleus sang- und klanglos untergingen. Die Haute Cuisine de la France zauberte aus der Marseillaise eine Schweizer Bouillabaise. Kopf hoch kann man hier nur sagen, dann wäre aus Girouds hohem Fuss nicht ein Attentat gegen von Bergens Auge entstanden. Blauäugig im wahrsten Sinne des Wortes! Tröstlich ist, dass der Schiri der einzige Blinde bleibt, und dass der lädierte Orbitaboden ausheilen dürfte. Einen Giroud darf man aber nie aus den Augen lassen; denn er ist ein Gunner, also ein Gewehrschütze, eigentlich haben wir Schweizer ja noch Glück gehabt, dass er bloss den Fuss als Waffe benützt hat. Unter Gunners versteht man übrigens die Spieler von Arsenal London. Also wenigstens nur ein halber Franzose.
Es ist mir also ein etwas zweifelhaftes Vergnügen, als zukünftiger Medizinmann der kleinen Schweiz, respektive ihres Nationalteams, ins grosse Frankreich zu fliegen. Kaum in Nizza angekommen, werde ich doch tatsächlich auf Grossbildschirmen des Terminal 1 mit den fünf Toren der Franzosen konfrontiert. Zum Glück ist der Thrifty-Schalter der Firma Hertz geschlossen, und ich werde mit einer kaum sichtbaren Kleinstnotiz an den Terminal 2 mit der «location des voitures» verwiesen, und kann somit den frustrierenden Fernsehbildern entkommen. Mon Dieu, im Gebäude der Autovermietungen werden die gleichen Fussballszenen gezeigt, aber nicht etwa nur die fünf Tore, nein hunderte muss ich ansehen, da die Kolonne am Hertzschalter unendlich gross ist, und mir das Mietauto so lange verwehrt bleibt, bis ich es locker in dieser Zeit, den Flug miteingerechnet, mit dem eigenen Auto von St.Gallen nach Nizza geschafft hätte. Wenn sie doch nur ein einziges Mal auch die zwei Schweizer Tore zeigen würden! Das nächste Mal werde ich weniger thrifty, das heisst sparsam, sein, sondern gut mein Budget anschauen oder einen Avis an Sixt schicken, weil diese drei Schalter andrangslos bedient werden, doch für Hertz schlägt mein Herz kaum mehr.
Wie froh bin ich jetzt aber, den gemieteten Clio besteigen zu dürfen, ich muss ja vor Geschäftsschluss noch den Rest der Küche bezahlen, sonst würde es mit der Lieferung nicht klappen. Ich stecke also den Schlüssel ins Zündschloss beim Lenkrad, doch leider existiert weder ein Schlüssel noch ein Schloss. Laut lachend sitze ich in meinem gemieteten Auto, drücke alle Knöpfe, bediene alle Hebel, doch statt des Anlassers dreht eher der Chauffeur durch. Nicht einmal in der Gebrauchsanweisung ist ein Bild vorhanden, so selbstverständlich gehen die Franzosen mit der Elektronik um. Da unterhalb des Radios, also weit weg vom Steuerrad oder dem üblichen Zündschloss ist ein Schlitz, doch nichts passiert, links ein Startknopf, doch passiert immer noch nichts. Das gleiche Prozedere im Leerlauf, und schon donnert Musik entgegen, der Scheibenwischer zappelt bei schönstem Wetter wild hin und her, und der klimatisierte Ventilator bläst mich schier aus dem Cockpit, weil eben alle Knöpfe und Hebel vorher verdreht wurden.
Der Petit Suisse fährt also mit dem reanimierten Clio nach Mandelieu – La Napoule. Ob das wohl etwas mit Napoleon zu tun hat? Ich denke also schon wieder an die Kampfkraft der Franzosen. Hungrig betrete ich die Boulangerie in La Napoule und kaufe mir ein Baguette, um den gröbsten Hunger zu stillen. Da kommt ein Franzose in die Bäckerei und verlangt ohne mit der Wimper zu zucken einen Petit Suisse. Mir fällt beinahe das Baguette aus der Hand, schaue ihn mit grossen Augen an und frage ihn, ob er mich denn wirklich kaufen wolle. Die Bäckerei war voll mit Kunden, und alle schauen gebannt auf mich. Als Neuankömmling im Süden bin ich zum Glück noch bleich, so dass bei ihrer Differentialdiagnose der Sonnenstich ausser Betracht fällt. Meine erlösenden Worte, dass ich selber ein Petit Suisse bin, lässt die ganze Bäckerei mit Lachsalven erzittern. Fazit des Bäckereibesuchs ist, dass unter einem Petit Suisse auch ein Brioche verstanden wird, ein Tafelgebäck, auf deutsch offenbar auch Apostelkuchen genannt. Wir werden also schon wieder von der Grand Nation kurzerhand verspeist. Wie twitterte doch der französische Nationalspieler Valbuena vor dem Spiel: „On est prêts à manger des petits suisses!“ Abgebildet war ein stolzer französischer Hahn, der einen Petit Suisse verspeist, die Firma Gervais nennt so nämlich eine ihrer Quarkspezialitäten. Wir sind und bleiben eben doch für die Franzosen les Petits Suisses, was für uns Schweizer so etwas wie eine Kombination zwischen Ostfriesen und Österreicher ist.