Ein elektrischer Wiiiz


Wie der gewiegte Leser merkt, fährt der Eurodoc mittlerweile getreu der Anhängerschaft der heiligen Greta nicht mehr mit dem Benziner oder Diesler in Europa umher. Ob die Umweltbilanz bei einem grossen Mercedes mit rund zweieinhalb Tonnen Leergewicht wirklich stimmt, ist zwar mindestens anzuzweifeln, wenn nicht sogar zu widerlegen. Wer aber einmal in einem 400 PS starken Elektromobil so richtig aufs Gaspedal gedrückt hat, der wird von diesem erhabenen Gefühl eines Flugzeugstarts so lange verfolgt, bis er selber so einen Düsenjet auf 4 Rädern à discretion pilotieren kann, und dies alles erst noch Geräusch- und absolut Schadstoff-los! Bei weitem jedoch nicht Stress-los!

Nach der schon beschriebenen, abenteuerlichen Fahrt nach Kärnten geht’s diesmal nach Südfrankreich, genauer einmal mehr nach Mandelieu-La Napoule, um von da aus für drei Tage das Bike-Paradies von Les Maures, das Gebirge zwischen St. Maxime, St. Tropez und Hyères, unsicher zu machen. Den Kennern der südfranzösischen Krimis, zum Beispiel von Pierre Martin mit Madame le Commissaire oder der ehemalige Pariser Kommissar Pierre Durand,  der sich hinter dem Pseudonym der Autorin Sophie Bonnet versteckt, kommen viele dieser Dörfer in diesen Gebieten bekannt vor. Die phantastischen e-Bike-Touren über die vielen Pässe wie zum Beispiel Col de Babaou, Col de Canadel oder die Klassiker wie die Route Forestière des Crètes mit Kilometer-langem Blick über die Küste bis Le Lavandou versetzen die Velofahrer in Tagträume und lassen die e-Wünsche des Autos in weite Ferne rücken.

Man könnte jedoch am Abend einmal die völlig überraschend vorhandene Ladesäule in Collobrières testen, doch das gleissende, helle Licht lässt die Gebrauchsanweisung der Ladesäule nur mit viel Mühe lesen. Die Säulenlektüre ist leider Pflicht, da weder das Mercedes.me-Kärtchen noch dasjenige vom TCS, und schon gar nicht eine Kreditkarte, Kontakt aufnehmen können. Zum Glück gibt’s die Angabe einer Notfallnummer, die nach etwa fünfzehn frustranen Minuten wegen impotenter internationaler Vorwahl respektive verlangter  Eingabe der Nummer 83 des Departements Var tatsächlich zu läuten beginnt. Doch läutet es nach nochmals fünfzehn Minuten unverändert, ohne dass eine Support-Stimme jemals ihre Hilfe anbieten würde. Das wäre ja alles kein grosses Problem, wenn die Temperaturanzeige nicht im Bereich von 35 Grad wäre, und vom lieblichen Hotel Notre Dame nicht ein Pool im Angebot wäre. Es handelt sich ja nur um einen Ladeversuch; denn wir brauchen gar keinen Strom, doch weiss man ja nie fürs nächste Mal. Wie nahe dran wir am wirklichen e-laden sind, erfahren wir erst bei der Abrechnung unserer oben erwähnten Tankkarten, in dem diese bei zweimaligem Versuch mit null belastet wurden.

Wieder nach Mandelieu zurückgekehrt, brauchen wir aber tatsächlich Strom, und beim Haushaltstrom unserer Wohnung dauert eine volle Betankung rund drei Tage. Da würde das auf der Wiese liegende Kabel mehrmals von Rasenmähern durchtrennt werden, und diverse Katzen würden wohl einen unerklärlichen Elektrotod erleiden. Damit aus diesem Katzenjammer nicht ein Elektrojammer wird, konsultieren wir die Elektrosäulen-Karte und stellen zu unserer riesigen Freude fest, dass bei einem unserer bevorzugten Strände, am Plage Robinson, eine relativ schnell ladende Säule steht, sinnigerweise von einer Firma namens Wiiiz installiert. Es stehen bei unserem Eintreffen sogar zwei Säulen mit je zwei Ladesteckern zur Verfügung. Doch leider sind diese Stecker abgeschlossen und gemäss Beschreibung nur durch einen Badge zu öffnen.

Durch die verlangte Eingabe einer Kreditkartennummer öffnet tatsächlich eines dieser Elektrotürchen und verlangt nach einem Code, der angeblich per Mail oder sms zugeschickt werde. Leider ist es jedoch tatsächlich ein Wiiiz, dass ich weder die Mailadresse noch meine Natelnummer dieser Firma je mitgeteilt habe. Der grösste und gefährlichste Witz ist jedoch das Wespennest innerhalb dieser Ladesäule, und durch das nicht mehr geschlossene Türchen, das wahrscheinlich seit vielen Wochen nicht mehr geöffnet wurde, entströmen Dutzende von Wespen der Ladesäule. Mit grosser Wahrscheinlichkeit stechen uns diese Wespen aus Dankbarkeit nicht, da sie entweder kurz vor dem Hitze- oder Erstickungstod  gefangen lagen, oder sie gerade dem elektrischen Stuhl in der Ladesäule am Entkommen sind.

Den Elektroschock erleiden eher wir, die wir bei gefühlten fünfzig Grad zusehen müssen, wie nach der verpassten Code-Übermittlung das Wespen-Tor zuschnappt und unseren Ladestecker mit dem Kabel definitiv einschliesst, eine Wiiiz-Flucht völlig verunmöglichend. Somit rufen wir ein weiteres Mal die Hotline dieser Firma an und bitten nach der dritten Angabe unserer Kreditkartennummer um einen erneuten Code, der das besagte Wespentor tatsächlich wie im Märchen von 1001 Nacht mit Ali Baba und den 40 Räubern nach «Sesam öffne dich» aufspringen lässt. Die Sesamkapsel muss also zuerst geöffnet werden, um an das viel wertvollere Sesamkorn zu gelangen, übrigens ein sehr gesundes Antioxydans, das unter anderem viel Selen enthält.

 Das Überspringen der roten Ladeanzeige ins satte grün wird sogar von mir als Rotgrün-Geschwächter realisiert. Dies ist keineswegs nur politisch gemeint; denn ich gehöre angeborenerweise zu den Deuter- und Prot-Anomalen, wobei ersteres die Grünschwäche und das zweite die Rotschwäche bedeutet. Um zukünftig besser gelaunt unsere ins links-grüne Lager abdriftende Politik zu verstehen, werde ich wohl diesen Gendefekt des 23. Chromosoms mit einer Korrektur-Brille bei Amazon für 99 Euros kompensieren.

Und so kommt es, dass mit «Sesam öffne Dich» nicht nur Ali Baba den Schatz der Räuberbande findet, sondern sich auch bei uns die Sesamkörner in Form von Elektrizität in die Batterien des Mercedes ergiessen. Ein in der Tat sehr erhabenes Gefühl, dass während des Meerbades, Wiiiz sei Dank, im wahrsten Sinne des Wortes «die Batterien aufgeladen» werden, sowohl vom Fahrzeug als auch dessen Passagieren.