Der Waldspaziergang


Statt ins Wildkirchli und das Bergrestaurant Äscher zu wandern, entschliessen wir uns für die einfachere und ungefährlichere Variante eines Waldspaziergangs. Die Holzkorporation Dietikon wurde 175 Jahre alt und feierte die Vernissage einer Ausstellung im Wald mit Holzskulpturen. Auf den gezeigten Bildern scheint es ziemlich feucht, vor lauter Kapuzen sieht es nach Hooligans aus, und die armen Alphörner trotzen dem Regen. Gefühlte 175 Jahre dauert heute auch unsere Durchfahrt von Dietikon, GPS und Strassenbauten sei Dank. Die Umfahrungen beim Bahnhof sind so wunderbar gekennzeichnet, dass einem der Blumen-geschmückte Betonklotz inmitten der Strasse kaum auffällt. Immerhin realisiert die künstliche Intelligenz des Mercedes, dass Beton unüberwindbar ist, und wir ja eigentlich zum Holz möchten.

So gelangen wir letztendlich zu einem Friedhof, höchst idyllisch und erstaunlicherweise mit vielen hübschen, gräberlosen Wiesen. In Dietikon scheint der Sensenmann trotz des Baubooms nur noch im eigentlichen Wortsinn der Sense zu arbeiten. Gevatter Tod heisst hier wohl Freund Hain statt Hein. Die Umzäunung hindert uns daran, den angrenzenden Guggenbüel-Wald mit seinen Skultpturen zu erreichen. Ein Friedhofgärtner erbarmt sich unser und zeigt einen direkten Zugang zum Gehölz. Einer Verhaftung wegen Ruhestörung dürften wir so entgangen sein, die Alternative wäre nämlich eine Kletterpartie über den Metallzaun gewesen. Ein romantischer Waldweg führt uns zu einer wunderbaren Feuerstelle, an der gerade Schulkinder ihre Würste braten, doch leider findet sich kein Wald- oder anderer Geist, so dass der Grill-Wurst-Duft zwar unseren Speichelfluss dank des Pavlov-Reflexes anregt, aber leider unbeantwortet der potentiellen Würste, vegan angehaucht, in den Wald entschwebt. Dies ausgerechnet bei uns zwei Sanktgallern, die ohnehin glauben, das Bratwurstparadies zu beherrschen.

Die Weggabelung lässt uns innehalten, steil bergauf oder locker flach nach links? Wie heute schon so oft, wählen wir der Bequemlichkeit wegen die einfachere Ebenaus-Variante, was einmal mehr einem Umweg entspricht. Bei der nächsten genau so romantischen Feuerstelle gibt es nur die steile Treppe bergaufwärts, die in einen grossen Weg mündet, und oh Wunder, es strahlen uns Marcel Bernets zwei Holzfiguren an, deretwegen wir den Wald erwandern. Die grosse Dame in weiss, vielleicht mit einer Krankengeschichte am linken Arm und die rechte Hand in der Hosentasche könnte als Lili einer Ärztin entsprechen, der unweigerliche Gedanke führt zu einer Göttin in weiss, jede Anspielung an die Potenz der Medizin respektive der MedizynerInnen ist zufällig und ungewollt. Auf der anderen Seite der wunderschönen Sitzbank aus Holz, betrachtet eine kleine, aber wirkliche Dottoressa auf schrägem Sockel den Himmel und denkt heute am vierzehnten Juni wohl frustriert an den Frauenstreiktag, und dass die bösen Männer noch immer den Frauen im Weg sind. Bernets Holzskulpturen passen phantastisch in diesen Wald, der fortan von Guggenbüel zu Guggenheim umgetauft werden sollte.