Der Kühlschrank in der Provence


Der alte Kühlschrank macht zu viel Lärm! In der Provence sind die Nächte ohnehin laut, sei es das frühmorgendliche Leeren der Container, das Spritzen der verschmutzten Gassen, das Geschrei eines Ehekrachs, das Zirpen der Zikaden oder ganz einfach das Konzert der Frösche, kurz vor ihrem Lebensende als Cuisses de Grenouille. Nichts desto trotz muss ein neuer Kühlschrank her, damit der Lärmpegel einige Dezibel akzeptabler wird. Also ab zum Kühlschrankhändler!
Ja man könnte ja unterwegs vielleicht noch schnell nach einer neuen Küchenkombination schauen, da die Waschmaschine nur noch auf gutes Zureden hin funktioniert. Küchenkombination auf Französisch beinhaltet wohlverstanden nicht nur eine Waschmaschine, nicht etwa pour la vaisselle, sondern für die schmutzigen Kleider, aber dennoch im gleichen Gerät Herd, Backofen und Geschirrspüler, jedem Schweizer Stromer würden sich die Haare sträuben, ein staatlicher Kontolleur müsste wohl reanimiert werden. Ja man kann sich ja mal schnell im Laden umsehen, und schon wird am Computer die neue Küche gezeichnet. Und statt eines Kühlschranks wird eine ganze Küche gekauft, nicht nur Euronorm sondern sehr eurokonform respektive Portemonnaie-freundlich, und erst noch mit der gleichen Gerätekombination.
Eine neue Küche ist organisiert, aber immer noch kein entsprechender Kühlschrank, also ab zum Einkaufszentrum Boulanger. Nein, wir brauchen doch nicht den Bäcker, genannt le boulanger! Die stressbedingte Tachykardie normalisiert sich schnell beim Anblick des Boulanger-Einkaufszentrums, als gross Electroménager steht, also elektrischer Haushalt. Grösse, Preis, Farbe, ja gar der Energieverbrauch sind Nebensache, wichtig sind nur die minimalen achtunddreissig Dezibel. Sogar eine Lieferung nach Hause ist möglich, sensationell nur für einen ganz kleinen Aufpreis, ein Telefon der genauen Lieferungszeit folge am Vorabend. Es würde in Südfrankreich ja sehr verwundern, wenn der Anruf wirklich rechtzeitig käme! So erfolgt dann halt Tags darauf während des Frühstücks zwischen Croissant und Baguette ein Telefon an die Zentrale des Boulanger, doch antwortet zu unserem grossen Leidwesen nur ein Telefonbeantworter respektive eine Beantworterin, man solle doch bitte den Namen des Einkaufsorts bekanntgeben, wobei die Stadt Mandelieu nicht im Repertoire des Computers zu sein scheint. Vielleicht ist jedoch auch meine Aussprache, pronontiation genannt, fehlerhaft, da ich des provenzalischen Dialekts nicht mächtig bin, trotz meiner zunehmenden Professionalisierung der Pétanque-Fähigkeiten. Canlieu oder so ähnlich, ob das richtig sei, „oui ou non“? Nach dem fünften „non“ würge ich mein Natel ab, respektive schreie verzweifelt „Internet“ ins Mikrofon und wundere mich ausserordentlich, dass plötzlich eine nicht computerisierte Stimme „Bonjour“ sagt, und mich um die Auftragsnummer bittet, die – wie kann es anders sein – naturellement nicht auf der Rechnung steht. Ja dann soll ich doch bitte in einer halbe Stunde nochmals anrufen, dann könne er mich direkt mit der Filiale verbinden.
Halbe Stunde? Nach fünf Minuten, der Espresso gerade eingeschenkt, kommt ein Telefon des Transporteurs, dass er mit dem Kühlschrank vor unserem geschlossenen Eingang stehe. Oh mon Dieu, in Mandelieu, normalerweise vierzig Minuten von unserem Standort in Grasse entfernt! „Ich müsse mit der Firma einen anderen Auslieferungstermin vereinbaren“, was wohl einen solchen Verzweiflungsschrei meinerseits auslöst, dass er sich meiner erbarmt und eine Auslieferung in der Nachbarschaft vorzieht. En trente minutes seien wir sicher dort. Wie von der Tarantel gestochen flüchten wir vom gemütlichen Frühstück, sprintend durch die Grasser Gassen, ins Parkhaus, hechten ins Auto rein und geben Vollgas. Nach genau dreissig Minuten kommt der erneute Anruf, sie seien jetzt erneut beim Eingangstor, was meine erstaunte Antwort folgen lässt „wir auch“! Der Camion steht tatsächlich unmittelbar vor uns, und ferngesteuert können wir das Tor öffnen.
Der Kühlschrank, angeblich der leiseste, den es auf dem Markt gibt, wird soeben in der Wohnung abgestellt, als ein riesiger Lärm mit lautem Geschrei das ganze Quartier aufhorchen lässt, dass gerade ein Kind im Nachbarhaus entführt werde. Ein geschiedener Vater will seinen Knaben bei der Mutter abholen, als dieser sich wehrt, Prügel bekommt und zurück in die Wohnung der Mutter flüchtet, der Vater und zwei mutige Kühlschrankmänner hintendrein. Die Auslieferung des leisesten Kühlschranks verursacht somit mindestens hundertzwanzig Dezibel, und aus allen Balcons wird geschaut und kommentiert. Cool wie einer der Kühlschrankmänner die Polizei alarmiert, und es dauert keine fünf Minuten, bis auch noch die Polizeisirene die eh schon hohen Dezibels hinaufschraubt. Der Knabe darf dann letztendlich bei seiner Mutter bleiben, und unser Kühlschrank geniesst sein ruhiges Plätzchen auf der Terrasse des Wintergartens, wo er fortan mit seinen achtunddreissig Dezibel dahinsummen wird, kalt, leise und emotionslos.