Andiebes


Heisst dieser wunderschöne Ort mit der malerischen Altstadt und dem Picasso-Museum im phantastisch gelegenen Schloss auf der Anhöhe zwischen Altstadt und Meer nicht etwa Antibes? Weshalb eine solch unsinnige Namensänderung? Sie werden den kriminellen Hintergrund gleich erfahren. Wie schon zu Napoleons Zeiten wird einigermassen rechtschaffenen Schweizern auf unedle, diebische Art Geld abgeknöpft, doch beinahe verhaftet werden am Schluss die Beklauten.

Die Besichtigung des Schlosses in Antibes mit vielen kubistisch bemalten Töpfereien, Skulpturen und Bildern Picassos ist zwar jedesmal wieder von neuem ein grossartiges Erlebnis, doch wegen der vielen, auf mehreren Stockwerken verteilten Räumlichkeiten, auch ziemlich ermüdend, besonders im Hochsommer, wenn das Thermometer gegen vierzig Grad steigt. So ist es naheliegend, im Anschluss an den Museumsbesuch an ein erfrischendes Bad im nahegelegenen Meer zu denken.

Eine grosse Abkühlung wird zwar das temperaturmässig eher einem Thermalbad ähnliche Wasser nicht sein, aber doch durchaus erstrebenswert. Leider ist der kleine, direkt unter dem Schloss sichtbare, Sandstrand verkehrstechnisch schlecht erreichbar, so dass wir die Strandstrasse in Richtung Nizza aufsuchen. Wir stellen unser Auto an den dem Meer zugeneigten Strassenrand und lassen uns etwa drei Meter neben dem Fahrzeug nieder. Der Rucksack mit dem Geld und den Ausweisen dürfte im abgeschlossenen Auto sicherer sein als bei uns, die wir ein paar Strohmatten in Richtung Meer ausgelegt haben. Wir haben ja auch noch unseren scharfen, vierbeinigen Superwächter Goldi, der uns, wie im letzten Band beschrieben, gut bewacht.

Der rumpelnde, wellenbedingte Ton der rollenden Steine ist zwar nicht allzu laut, aber regelmässig, und während wir alle «gesteinigt» dem Sandstrand von Cannes und Mandelieu nachtrauern, scheinen wir einen akuten Hörsturz zu erleiden, unser Hund miteingerechnet. Ein wahrhaft kapitaler Fehler, denn unser Kapital wechselt in der Zwischenzeit den Besitzer. Nach beendetem Badevergnügen wollen wir den Tag noch weiter geniessen und stellen uns im nahegelegenen Café ein Festival des Glaces vor. Doch nur schon der Anblick unseres Autos lässt uns in der grössten Hitze erschaudern und reisst uns aus sämtlichen Glacéträumereien in die zerbrochene Realität zurück. Es ist klar, dass sich durch die eingeschlagene Scheibe der Rucksack mit allen Ausweisen und dem Geld auf Nimmerwiedersehen verabschiedet hat.

Statt einer Eisdiele suchen wir halt jetzt die Gendarmerie. Doch sind diese Flics gar nicht so einfach zu finden. Erstens sind sie mittags meistens am Essen, so wie dies in allen, übrigens äusserst lesenswerten, Kriminalromanen der Côte d’Azur beschrieben wird, und zweitens ist nicht jede Polizeistation berechtigt, einen sogenannten Procès verbal aufzunehmen, also ein Diebstahl-Protokoll auszustellen. Letzteres wird für uns noch eine grosse Bedeutung erlangen.

Auf unsere Klage des Diebstahls folgt die höchst sinnvolle Frage, ob wir uns ausweisen können. Aus den Gilets jaunes werden jetzt also tatsächlich noch Sans-Papiers. Zum Glück trage ich meine Ausweise immer im Portemonnaie und letzteres, gegen den Willen meiner Frau des fürchterlichen Aussehens wegen, in der vorderen Hosentasche. Der Gendarme, der mich sehr an Louis de Funès von der Gendarmerie in St. Tropez erinnert, ist zum Glück mit einem einzigen gültigen Ausweis zufrieden, und ich werde fortan mit besserem Gewissen die Hose mit dem dicken Portemonnaie herumtragen, auch wenn ich so angeblich wie ein Clown aussehe.

Noch während wir am Procès verbal sind, erstürmt eine weinende Dame den Polizeiposten, man habe ihr soeben, während sie an einer Kreuzung stand, ihre, auf dem Beifahrersitz liegende, Handtasche durch das offene Fenster hindurch entwendet, es seien zwei Motards  gewesen, und der hintere habe in wahrscheinlich gewohnter Manier die Tasche ergriffen, und schon seien sie mit Vollgas mit dem Motorrad fortgebraust. Diese kurze Schilderung löst erneut einen Heulkrampf hervor, es seien ihr nämlich ausser dem ganzen Geld, dem Checkheft, den Kreditkarten und den Ausweisen auch die Ferien-Flugtickets in die USA für heute Abend entwendet worden. Der Untröstlichen fliegen so halt die Ferien davon, obwohl die beiden motorisierten Gauner kaum in Ferienstimmung sind, sondern viel eher in Feierstimmung; denn solch fette Beute wie heute gibt’s selten. Und uns wird soeben klar, weshalb auch wir nichts vom Diebstahl mitbekamen, das ging offenbar so schnell, dass nicht einmal unser Hund im steinigen Wellenrauschen das Motorrad und das kurze Klirren der Scheibe realisierte.

Nach weit über einer Stunde ist das Protokoll endlich fertig geschrieben, so dass es mit allseitiger Unterschrift und einem grossen Stempel versehen werden kann, und wir das Original für die Versicherung erhalten. So werden wir sicher die gestohlenen Identitätskarten problemlos ersetzt bekommen. Das dem nicht so ist, realisieren wir im Ratshaus zu St. Gallen; denn Schweizer Sans-Papiers haben es im Gegensatz zu den echten schwieriger, obwohl sie ja ihre Ausweise nicht bewusst weggeworfen haben. Da könne ja jede an den Schalter kommen und neue Ausweise verlangen, wenn sie sich und die Kinder nicht mal ausweisen könne. Ein verzweifeltes Telefon an den arbeitenden Ehemann (der mit dem Ausweis!) lässt Ungutes erahnen, doch die gemeinsam getroffene Strategie mit Ausstellung  eines neuen Halbtax-Abos am Bahnschalter, auf Versicherungsspesen selbstverständlich, ist dann erfolgreich, man kann sich ja somit für die Erstellung der Identitätskarte wieder ausweisen. Viele Wochen später bekommen wir ein Telefon von der Fahndungs-Polizei St. Gallen, dass mit dem Ausweis meiner Frau und gestohlenen Checks  in Frankreich ein Auto erschlichen worden sei, und ob wir dazu eine Aussage machen könnten. Wir sehen uns schon in Handschellen vor dem Untersuchungsrichter, als wir das Papier des Procès verbal erwähnen. Die Erleichterung beim anrufenden Polizisten, ein sehr geschätzter Patient übrigens, ist auf Grund des dokumentierten Ausweis-Diebstahls wohl genau so gross wie bei uns selber.