Aller Unkenrufe zum Trotz keine Geschichte


Wissen Sie, was eine Unke ist? Eine Kröte mit warzigem Rücken und schwarzem Bauch mit gelb-roten Flecken, deshalb auch Feuerkröte genannt. Und ihr melancholisch klagender Ruf bedeutet eine skeptische, pessimistische und somit typisch negative Äusserung. Dies passte hervorragend zu Bundesrat und BAG im Frühjahr 2021, als sie aus dem  Corona-Dschungel mit viel zu wenig Impfungen und zu vielen abgelaufenen Tests keinen Ausweg mehr fanden und sich gegenüber Öffnungen viel zu lange verschlossen zeigten. Wie sagte es doch Heinz Tännler, der Zuger Finanzdirektor, so trefflich: «Wenn man in die falsche Richtung läuft, hat es keinen Zweck, das Tempo zu erhöhen.» Und dass die praktische Medizin im BAG eine sehr untergeordnete Rolle spielt, bekräftigt die Tatsache, dass an der Spitze eine Politologin steht, die am Arbeitsplatz Hunde den Männern vorzieht, dass für das Krisenmanagement eine Theologin verantwortlich ist, die in ihrem Namen das ärztliche «t» bei Arz (de Falco) verloren hat, und dass eine Diplomatin für die Impfstoff-Beschaffung zuständig ist, die keinerlei Fingerspitzengefühl gegenüber Impfstoff-Herstellern zeigt. Kein Wunder also, dass der zentralistische Medizyn-ismus in Bern überhand nimmt.

Diese Unkenrufe wollen auch die Reisen verbieten, verkünden Lebensgefahr und Quarantäne-Gefängnisse. Dank dessen, dass ein Tenniskollege mich aus Südfrankreich anruft und von der Freiheit und Unabhängigkeit schwärmt – das Blau im Französischen Wappen der Tricolore bedeutet ja schliesslich liberté – fassen wir trotz aller Unkenrufe den Entschluss, unmittelbar nach den Osterfesttagen, auf leisen elektrischen Sohlen nach Südfrankreich zu schleichen. Als regelmässiger Leser dieser Geschichten merken sie sogleich, dass der Autor unverändert ein E-Auto fährt. Der einzige Unterschied zu früher besteht in der Tatsache, dass er mittlerweile zu hundert Prozent damit zufrieden ist, zumal sich die Reisen mit digitaler Hilfe optimal planen lassen.

In Coldrerio vor Chiasso noch maximale Energie geladen, reicht es wie geplant, aber mit einer Rest-Reichweite von nur noch 20 Kilometern, bis zum Schnellader an der Küste vor Ventimiglia. Der Puls schnellt bei der Einfahrt in diese Raststätte «Rinovo Nord» auf 200 Schläge hoch, als die erste erblickte Ladesäule wie vom Verhüllungskünstler Christo mit Plastik verpackt mit der Beschriftung «Coming soon»  in die Luft ragt. In Sekundenschnelle kommen Gedanken an das Kärnten-Debakel im vergangenen Sommer hoch, als kurz vor dem Ziel der Strom ausging. Nein bitte nicht noch einmal, «Rinovo» heisst doch so etwas wie «ich mache neu», aber sicher nicht «ich wiederhole». Hinter der verpackten Ladesäule stehen dann aber vier bereite Schnellader, die auch normal funktionieren, und mein Herzrasen dank viel Strom und ohne Defibrillator wunderhaft heilen. Es lebe die ohne viel Hilfsmittel auskommende, placebofreundliche Komplementärmedizyn ohne Anwendung aufwändiger Hilfsmittel.

Damit die pessimistischen Unkenrufe nicht doch noch Recht bekommen, haben wir verschiedene Corona-Dokumente griffbereit, so auch die Impfausweise mit gesichertem QR-Code und die Nachweise von durchgeführten Schnelltests, wohl bewusst, dass es für die Einreise sowohl nach Italien als auch Frankreich eigentlich sogenannte PCR-Tests braucht. Doch werden wir weder in Chiasso bei der Einreise nach Italien noch aktuell in Ventimiglia bei der Grenzüberquerung nach Frankreich angehalten. Eigentlich ereignet sich auf dieser Reise viel zu wenig, um eine Geschichte zu schreiben, ich versuche es dennoch.

Während sich in St. Gallen nächtliche Unruhe bei den Jugendlichen breit macht, herrscht in ganz Frankreich ab 19 Uhr gähnende Leere und gespenstische Ruhe. Das tägliche Pétanquespiel im neu erstellten Park gleich neben unserer Siedlung, der Pastis-Apéro und der Viergänger werden somit etwas vorverschoben. Gerne übernehme ich selber die Verantwortung des Chef- Kochs. Doch so wie sich der Koch auf dem Corona-Höchstpunkt vom BAG verabschiedet hat, halte auch ich nach Koch-Alternativen Ausschau. Das «La Mandarine» wird als Take away – Institution erkannt und lässt mich problemlos und mit grösstem Vergnügen allabendlich einen Viergänger servieren. Der ganz grosse Vorteil liegt in der Tatsache, dass nach der obligaten Flasche Rosé keine Risiko-Heimfahrt mit Fahrrad oder Auto benötigt wird, sondern bei «Flasche leer» problemlos die Horizontale aufgesucht werden kann.

Die offizielle Rayon-Grenze von zehn Kilometern wird selbstverständlich auf dem E-Mountainbike nicht eingehalten, und die üblichen Velotouren durch das geliebte Estérel-Gebirge  und das Tannéron-Massiv finden normal statt. Dass die Gesetze anders lauten, wird uns nicht ganz zufällig am schönsten Sonnen-Tag vor Augen geführt, als zwei E-Bike-berittene Polizistinnen im überfüllten Park auftauchen. Sie hätten mal sehen sollen, wie wunderhaft hundert Personen in die Tasche greifen, und innert Sekunden Masken ins Gesicht wandern. Die paar wenigen, noch übrig bleibenden Nicht-Maskenträger werden freundlich aber sehr bestimmt zur Änderung der Gesichtsfreiheit animiert. Da wir weder eine Zigarette im, noch ein Natel vor dem Mund haben, lassen auch wir sofort der Schwerkraft der Pétanque-Kugeln ihren freien Lauf, um den erfolgreichen Griff zur  Maske zu tätigen. Da wäre doch tatsächlich aus der Nicht-Geschichte beinahe noch etwas geworden. Immerhin werde ich so aus der Konzentration geworfen, dass meine Boules-Kugeln keinerlei Affinität mehr zeigen, weder zum Cochonette noch zu den gegnerischen Kugeln, und ich mit einem «merde»  sang- aber nicht ganz klanglos gegen meine Frau untergehe.

Ganz nahe schrammen wir auch am Abend beim Abholen unseres E-Hundes von der Leine an einer Story vorbei. So nennen wir jeweils die Spaziergänge zur Ladesäule, wenn das Kabel respektive die Leine des Autos abgehängt wird. Beim tolerierten Zehnkilometer-Rayon zeigt  uns die neue Batterieladung immerhin mögliche 370 Kilometer an. Zum Glück sieht das die Gendarmerie nicht, die an der daneben liegenden Kreuzung alle Fahrzeuge anhält. Die Vermutung liegt nahe, dass tatsächlich die gefahrenen Distanzen kontrolliert werden. Sie lesen somit aller Unkenrufe zum Trotz immer noch keine Geschichte!

Aber es folgt ja noch die Heimreise, wer weiss? Selbstverständlich immer noch mit Schnell- statt mit PCR-Tests bewaffnet; denn sowohl Frankreich als auch Italien sind trotz ähnlichen Fallzahlen wie in der Schweiz noch auf der Quarantäneliste für Heimreisende. Da die Bussen bei fehlenden PCR-Tests etwa gleich hoch sind wie die Kosten dieser Tests, entscheiden wir uns für die potentiellen Bussen, allerdings im Bewusstsein, dass es wegen der fehlenden Dokumente beim Grenzübertritt zu erheblichen Verzögerungen kommen kann. Die Grenzen innerhalb der EU werden offenbar überhaupt nicht bewacht. Wir überfahren nämlich die Grenze von Frankreich zu Italien, ohne irgendwo gestoppt zu werden, auch dank Telepass, der automatischen Zahlstellen-Erfassung. Diese sollte jedoch bei der nächsten Grenze zwischen Italien und der  Schweiz noch eine entscheidende Rolle spielen.

Bei der Umfahrung von Mailand fällt uns ein überaus schnell fahrender Basler Volvo mit einem jungen Fahrer auf. Bei sonst fehlenden Touristen ist das der genau Richtige, um am Zoll hinten anzustehen. Das Problem ist jedoch seine Geschwindigkeit, die eines Autoposers würdig ist. Ich verhalte mich deshalb wie ein Gepard, der seine Beute zwar erspäht aber noch nicht jagt; denn 150 Stundenkilometer bei erlaubten 100 Kilometern sind im Hinblick auf persistierende Führerscheinwünsche und drohendem Geldbörsen-Vakuum dann doch etwas zuviel. Wir verlieren den Basler deshalb aus den Augen und fühlen uns immer mehr als Sanspapiers, je näher wir der Grenze kommen. Bei der letzten Zahlstelle bei Como geschieht Überraschendes aber keineswegs Unverhofftes, in dem der Telepass die verlorenen, geschätzten zwei Minuten aufholen lässt, und der bezahlende Volvo mit BS-Schild uns erst in den Tunnels, die zur Grenze hinunter führen, wieder überholt. Diesmal wittert der Gepard aber nicht nur seine überschnelle Beute, sondern verfolgt sie. Meine neben mir sitzende Frau sieht sich schon des Raserautos enteignet und wird immer bleicher, je näher die Grenze kommt, der Gepard hingegen möchte sich sein Festmahl nicht entgehen lassen und drückt in Hamilton-Manier  aufs Gaspedal. An der Grenze finden sich dann tatsächlich nur drei Fahrzeuge, nämlich zu vorderst der Basler, hinten der St. Galler und dazwischen ein italienischer Cinquecento, der sich noch dazwischen zwängt. Und Sie ahnen es, die Raserei hat sich mehr als gelohnt; denn der Volvo wird zur genaueren Inspektion zur Seite gebeten, und die Nachfolgenden durchgewinkt. Puh, sind wir froh, dass es endgültig keine Geschichte geworden ist, aller Unkenrufe zum Trotz!