Abdampfen in der Provence


Der gewiegte Leser merkt es sofort, ich bin immer noch an der französischen Mittelmeerküste, Côte d’Azur genannt. Azur und les Bleus, schon wieder die Assoziation mit Fussball. Wie schnell ändern sich doch die Zeiten, wenn es um das runde Leder geht. Die hochgejubelten Bleus bringen nach dem Triumph gegen la Petite Suisse kein Tor zustande, obwohl sie einen Mann mehr auf dem Platz haben. Wie lassen doch die Medien anderntags Dampf darüber ab, ja noch schlimmer, man hätte dem geliebten Giroud schon wieder rot zeigen müssen, so schreiben sie, dann wäre er definitiv abgedampft. Der arme Steve von Bergen ist ja auch schon wieder zu Hause nach seiner mittlerweile operierten Orbitaboden-Fraktur, Blowout-Fraktur genannt. Ausgeblasen, abgedampft, Bleu-out….
Was hat denn dies alles mit der Küche zu tun? Pünktlich auf die Minute wird die Küche, in ihre Einzelteile zerlegt, geliefert. Das Studio ist aber schon vorher übervoll, da gerade auch la salle de bain in eine salle de douche umgewandelt wird. Das ist gar kein Problem; denn die zwei Küchenlieferanten mit ihrem grossen Camion nehmen sicher die alten Küchengeräte mit. Comment, seulement la livraison, rien d’autre? Da müsse ich schon selber schauen, es komme morgen der Mann für die Montage, ich könne ja ihn wegen der Entsorgung fragen. Dies ist eine glaubliche Wertsteigerung unseres Studios mit zwei Waschmaschinen, zwei Spülbecken, zwei Küchenschränken und zwei Kocherd-Backofen-Geschirrspüler-Kombinationen; erinnern Sie sich an die Herzkrise des Schweizer Elektro-Kontrolleurs wegen dieser Starkstromkombination?
Erstaunlich und unüblich, genau zur vereinbarten Zeit, kommt der Mann pour la pose, was nicht etwa Pause heisst sondern Montage. Du meine Güte, was hier alles rumstehe, da sei nicht einmal die alte Küche entsorgt. Dann entsorge er halt selber die Geräte, er habe eine Hilfe dabei, seine vierzehnjährige Tochter, die ab heute Ferien habe, und die er nicht allein zu Hause lassen könne. Leider wiegt allein die alte Waschmaschine etwa gleich viel wie die Tochter. Schwerarbeit für die Kinder, da dürfte la Police nicht mehr weit weg sein, sie kam ja schon bei der Kühlschranklieferung mit Blaulicht wegen eines Kindes angebraust. Ich steige also selber in die Hosen und helfe, die alte Küche zu entsorgen, dies kostet mich so nebenbei nicht nur hundertfünfzig Euro sondern auch zwei Kilo an Gewicht, es ist dies das erste Mal, dass ich für erledigte Schwerarbeit auch noch Geld bezahle; zum Glück darf ich morgen nach Hause fliegen, dann werde ich wieder für leichte Arbeit entlöhnt. Wie heisst es doch so schön, wie man vier Elefanten in einen Fiat 500 rein bekomme: zwei vorne und zwei hinten. So etwa komme ich mir vor, wenn ich vor dem kleinen Renault des Küchenmonteurs stehe. Das sei jetzt das Problem seiner Tochter, die alle Möbel und Geräte so schreddern werde, dass alles Platz habe.
Unter meiner scharfen Beobachtung wird nun montiert, Spülbecken, Schränke, Waschmaschine, Kochherd und Dampfabzug. Das Rohr des alten Dampfabzugs wird entsorgt. Ich erlaube mir deshalb die amateurhafte Frage des zukünftigen Dampfabzugs. Dies sei ein Carbonfilter, der den Dampf absorbiere, dies brauche keine Entlüftung. Er sieht wohl meine Zweifel, steigt auf die Leiter und zeigt mir den alten Abzug respektive seinen Chapeau, so nennt man den Deckel, der völlig verschlossen ist. Da wurde also seit Jahrzehnten kein Dampf abgelassen, der endgültige Beweis ist das alte Rohr, das in unverändert hellem Aluminium leuchtet. Mit so einem Trugschluss mit vorgespielten Tatsachen sind wir schon einmal in Grasse konfrontiert worden, als wir eine Wohnung kauften, in der in der Küche eine Dusche installiert war. Dies liess uns fälschlicherweise annehmen, dass eine Abflussröhre vorhanden sei. Doch weit gefehlt, das Duschwasser floss auf den Küchenboden, um irgendwo in den Wänden zu versickern, zu verdampfen und zu verdunsten. Der französisch geübte Beobachter findet auch heute noch die Feuchtigkeitsflecken im Treppenhaus, wobei jedoch die Inkontinenz der Küche des Nachbarn noch einiges grösser war.

„Bonjour“ tönt es vom Balcon der Dame schräg unter uns, ob wir denn mit dem Umbau vorankämen, die neue Klimaanlage sei ja super montiert worden, ohne dass man sie sehe und höre. Da klickt sich aber der Nachbar direkt unter uns in die Diskussion ein, „est-ce que vous avez l’autorisation du syndic?“ Syndic wird der Verwalter genannt. Ich denke, ein Auto habe ich ohnehin nicht, sondern nur einen Clio ohne Zündschloss, der kurz vor der Autoresektion steht, aber eine Autorisation habe ich keineswegs. Ich lernte aber am Vorabend Madame la syndic im Gespräch mit dem gardien kennen, dies ist nicht etwa der französische Wachhund sondern der Facility-Manager, also doch ein Wachhund. Madame war eine reizende ältere Dame, die mir sogleich ihre vier Monate alte Leidensgeschichte der Handgelenksfraktur in allen Details mitteilte. Bei dieser Muskelatrophie und den angegebenen Gefühlsstörungen von Daumen bis Mittelfinger war es ein leichtes, das nicht erkannte Carpaltunnel-Syndrom zu diagnostizieren und ihr den Neurologen und Handchirurgen dringendst zu empfehlen. Sie war mir unendlich dankbar, und sollte die Klimaanlage jemals bis zu Madame syndic vordringen, dürfte das Klima für den neidischen Nachbarn von unten – von der Nachbarin übrigens nur le fou, der Verrückte, genannt – ziemlich rauh werden. In der Fortsetzung der nachbarlichen Dezibel-progressiven Balkondiskussion stellen sich innert Kürze nicht nur viele neugierige Zuhörer dazu, sondern zeigt es sich, dass es gar nicht mehr um die Klimaanlage geht. Das Hauptproblem sind les pigeons. Es braucht bei mir eine gewisse Zeit, bis ich endlich realisiere, dass nicht des Nachbars Peugeot gemeint ist sondern die von der Nachbarin gefütterten Tauben. Da punktet er jetzt aber auch bei mir. Vielleicht deshalb, aber auch um die freund-nachbarlichen Beziehungen nicht zu kompromittieren, stelle ich ihm zwei Flaschen Rosé vor die Türe, aus lauter Kummer über die Nachbarin war er nämlich abgedampft.
Das Selbstwertgefühl des Petit Suisse als Bauleiter und Bimbo ist mittlerweile auf Steilflug; denn nach montierter Küche und überlebter Taubendiskussion geht es abends um 22 Uhr vor den Fernseher, um das Spiel Schweiz gegen Honduras zu geniessen. Die grandiosen Balleroberungen in unserer Defensive, die im mittlerweile allseits bekannten Offensivspektakel ihre Krönung finden, sind Weltklasse, und wenn die Innenverteidigung noch etwas standfester wird, müssen die Gauchos aus Argentinien bald ihre Koffer packen. Aus dem Petit Suisse wird somit au milieu de la Grande Nation ein Grand Suisse mit so erhobenem Haupt, dass er seinen Hut mit dem Schweizer Kreuz drauf, kaum mehr auszieht. Erst recht, wenn so viele grosse europäische Fussball-Nationen aus Brasilien abgedampft sind, geblendet oder uruguayanisch rausgebissen wurden. Es lebe der Fairplay-Gedanke!